Mode: Möglichkeiten für Transparenz und Verantwortung in der Lieferkette

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15. September 2021

ÜBER DEN AUTOR
Eva Howell
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Kleidungsstücke sind Konsumgüter, die irgendwo zwischen Grundbedürfnis und Luxus oder Spielerei eingeordnet werden können. Witterungsbedingungen und soziale Gepflogenheiten geben uns vor, dass wir unsere nackten Körper mit Kleidung bedecken sollten. Doch wir kleiden uns nicht nur, weil wir es müssen. Mode ist Ausdruck unserer Persönlichkeit und viele von uns Industrielandeinwohner:innen möchten unterschiedliche Optionen für Kleidung für unterschiedliche Tagesstimmungen und Anlässe besitzen, um uns vielfältig nach außen präsentieren zu können – Kleidung ist damit auch Kommunikation und Emotion.

Trotz eines breiten Angebots im Internet ist es gerade beim Konsumgut Kleidung vielen von uns wichtig, die Artikel vor ihrem Kauf anzuprobieren und uns – manchmal etwas skeptisch, manchmal wohlwollend  – im Spiegel zu begutachten, bevor die Stücke in unseren Kleidungsschrank wandern. Stationäre Modegeschäfte sind deshalb vielleicht schwerer wegzudenken als stationäre Ladenlokal, welche andere Artikel führen, oder?

Darüber hinaus verbinden uns stationäre Modegeschäfte in ihrer Arbeit mit der Welt. Denn Rohstoffgewinnung und Produktionsschritte für Modeartikel finden heutzutage selten in Deutschland statt. Für viele von uns Konsument:innen ist es nicht mehr ausreichend, Modeartikel lediglich basierend auf ihren funktionalen oder ästhetischen Gesichtspunkten auszuwählen. Wir möchten wissen, was wir mit dem Kauf von Modeartikeln in der Welt bewegen. Nicht zuletzt deshalb stieß unsere Schaufensterausstellung und Kampagne Fashion im Kiez: Mode.Zukunft.Frankfurt Anfang Juli 2021 parallel zur Frankfurt Fashion Week auf große Resonanz – in fünf Beiträgen könnt Ihr weiterhin wichtige Fakten über die verschiedenen Lieferkettenstationen von Mode erfahren:

Für unseren heutigen Beitrag in der Blog-Reihe „Hinter der Ladentheke – Geschichten aus dem Einzelhandel zu globalen Wertschöpfungsketten“ möchten wir jedoch noch einmal auf die Einzelhändler:innen persönlich eingehen. Wissen über Bedingungen in globale Lieferketten ist zwar hilfreich, letztendlich kann dieses Wissen jedoch nur über die Wahl von Produkten in die Wirtschaftsweisen des stationären Handels überführt werden. Die Modeartikel an sich vereinen die Praktiken, welche in den globalen Lieferketten stattfinden.

Fangen wir mal an mit der Grundausrichtung verschiedener Einzelhändler…

Für diesen Blogartikel besuchte ich zwei Läden auf der Berger Straße und recherchierte etwas über deren Hintergründe. Mein Ziel war es, mehr über die Entscheidungsgrundlage zu erfahren, auf deren Basis sie im Einkauf Kleidungsstücke ordern.

Der erste Laden ist mi.na – eine kleine Boutique mit ausgewähltem, aber breit gefächertem Sortiment. „Nachhaltige Materialien, faire Produktion und ein guter Style, das ist das Herz von mi.na“, heißt es auf der Webseite. Dieser Laden ist Anlaufstelle für viele Frankfurter:innen und Nicht-Frankfurter:innen, die sowohl Wert auf Trends als auch auf Mode mit gewissenhafter Produktion legen.

Der zweite Laden, den ich besuchte, ist der Weltladen Bornheim. Weltläden sind für ihre fair gehandelten Produkte bekannt. Auf der Internetseite des Weltladen Dachverbands heißt es: „Warum sollte man in den Weltladen gehen? Weil Weltläden nicht nur fair gehandelte Produkte verkaufen wollen, sondern eine Vision von einer gerechteren Welt haben.“ Auch Mode aus dem Weltladen ist Style – dieser orientiert sich jedoch weniger an Laufstegen in Paris, Mailand und New York. Hier sind soziale und ökologische Aspekte Teil des modischen Ausdrucks.

Ohne dafür die Hand ins Feuer zu legen und mit dem Bewusstsein, dass die Abgrenzung nicht so starr gemacht werden kann, wage ich einmal einen Vergleich, um einen wichtigen Aspekt für die Entscheidungsgrundlage dieser beiden Einzelhändler hervorzuheben: Man kann vermuten, dass erstgenannter Laden einen Kundenstamm bedient, welcher auf andere Aspekte bei Mode achtet, als zweitgenannter – sicherlich mit Überschneidungen, aber dennoch wichtig zu nennen für die Entscheidungsgrundlage. Oder lehne ich mich hier zu weit aus dem Fenster?

Modelabels bieten, Kund:innen fordern, Einzelhändler:innen verknüpfen.

Andy Bule, Inhaber von mi.na, erzählte mir bei meinem Besuch, dass viele Konsument:innen in sein Ladenlokal kommen und Modeartikel mit bestimmten ökologischen, gesellschaftlichen oder sozialen Aspekten suchen. Für ihn gibt es jedoch so viele unterschiedliche Entscheidungsgrundlagen für Modeartikel, dass er sich viel mehr Bewusstsein für die verschiedenen Aspekte, unter welchen man Mode bewerten und auswählen kann, wünscht.

„Alle Seiten müssen mehr verstehen, worum es geht bei Nachhaltigkeit“, erklärt er. Seine erste Entscheidungsgrundlage für die Artikel, die er in seinem Laden führt, ist die Nachfrage der Konsument:innen – was wird getragen, was ist modern, wie möchten sich Konsument:innen nach außen präsentieren. Letztendlich muss die Mode ja verkauft werden. Wenn er als weitere Entscheidungsgrundlagen soziale und ökologische Aspekte beachten möchte, bieten sich für ihn eine Vielzahl an Möglichkeiten. Große Marken, wie etwa „Armed Angels“, arbeiten mit bekannten Zertifizierungen, wie etwa GOTS (Global Organic Textile Standard). Diese unabhängige Zertifizierungsinstanz ist eine der anerkanntesten Prüferinnen für die Einhaltung ökologischer und sozialer Standards und viele Konsument:innen legen Wert darauf.

Ein Modelabel wie „Armed Angels“ beispielsweise hat außerdem mittlerweile eine Größe erreicht, durch die Strukturen in Anbaugebieten maßgeblich beeinflusst werden. Außerdem haben große Marken, die Möglichkeit, an neuen innovativen Materialen und Produktionesweisen zu forschen und arbeiten – Fasern aus Holz bzw. auf Zellulosebasis, Färbetechniken ohne Giftstoffe, sowie Recyclingverfahren für Stoffe und die Rückführung in den Produktionskreislauf. Auch andere Marken wie „Veja“ beispielsweise, entwickeln neue Materialien und achten auf ökologische und soziale Standards. Bekannt vor allem für ihre veganen Schuhe, setzt diese Marke jedoch weniger Fokus auf eine unabhängige Zertifizierungsinstanz, wie etwa GOTS, sondern stellt vielmehr ihre Handels- und Zertifizierungspartnerschaften unter den Rubriken Transparenz und Fairtrade sehr ausführlich und mit Zahlen und Belegen auf ihrem Internetauftritt dar.

Andere Marken in seinem Laden sind weder zertifiziert noch vegan – das kleine Modelabel „ann kurz“ mit Sitz in Spanien produziert „zeitlose Lederhandtaschen“. Kleine Marken wie diese haben nicht die Ressourcen für teure Zertifizierungen – ihnen vertraut er jedoch, da man die kleinen, familiären Strukturen sehr nah und transparent erleben kann. Das Leder ist aus europäischer Produktion und die Taschen werden in einer eigenen Fabrik hergestellt. Das Vertrauen in dieses Label wird in diesem Fall zunächst rein über die Nähe des Herstellers zu allen Produktionsschritten hergestellt – mit Sitz in Spanien ist das Unternehmen zudem sehr nah und die Produktionsstätten können leicht besichtigt werden.  In einem Video auf ihrem Blog hat man fast den Eindruck, direkt in der Taschenwerkstatt dieses Unternehmens zu stehen.

Ohne unabhängige Prüfungsinstanz lässt es sich natürlich nicht belegen, dass die Bedingungen für Mitarbeiter:innen fair sind und alle Produktionsschritte ökologische Standards beachten. Dennoch sind diese Partnerschaften wichtig für einen Einzelhändler wie mi.na. Der Aspekt der Nachhaltigkeit kommt in diesem Fall auch erst voll zum Tragen in der Nutzung der Konsument:innen. Im Sinne von „Slow Fashion“ zählt in diesem Fall Langlebigkeit – wenn Konsument:innen bereit sind, den entsprechenden Preis für Produkte zu zahlen und das Produkt lange tragen und wertschätzen, wird ein wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit von Mode umgesetzt. Und ich denke, es ist keine zu gewagte These, zu vermuten, dass stationäre Einzelhändler gegenüber dem Internethandel viele Vorteile aufweisen, um Konsument:innen bei einer bedachten Kaufentscheidung zu helfen.

Über unabhängige Zertifizierungen und transparente Kommunikation – gibt es einen Königsweg?

Wir fassen zusammen: Unabhängige Zertifizierungen kosten Geld und der Zertifizierungsprozess ist oft langwierig. Das weiß beispielsweise auch das Hamburger Modelabel „Jan’n June“, welches für einen Fokus auf Nachhaltigkeit bekannt und auch im Sortiment von mi.na zu finden ist. Als Marlene 2019 mit Jan’n June ein Interview führte, bezogen sie zwar bereits GOTS-zertifizierte Textilien, sie selbst als Unternehmen waren zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht zertifiziert. Ein Barcode, welcher die ECO-ID ihrer Produkte darstellt, informierte damals und auch heute noch über die Herkunft und Produktionsschritte ihrer Waren. Seit Juli 2021 ist Jan’n June nun auch als Unternehmen zertifiziert und ab 2022 können sie ihre Produkte mit der GOTS-Zertifizierung selbst kennzeichnen – dieser Prozess benötigte etwas Zeit.

Wenn also Zertifizierungen für manche Modeunternehmen (noch) nicht möglich sind, ist transparente Kommunikation ein gängiger Weg. Ob Einzelhändler:innen und wir dieser Kommunikation letztendlich vertrauen, ist keine klare Angelegenheit. Lasst uns diesen Punkt auf jeden Fall für unseren Zukunftsworkshop 2022 aufheben und diskutieren.

Das Beispiel Weltladen – Siegel, Bildung, Vernetzung, Transparenz.

Bildquelle: Eigenes Foto.

Weltläden haben Fair Trade in ihr Kerngeschäft fest integriert. Der Weltladen in Bornheim beispielsweise weist eine Vielzahl an Fair Trade Siegeln auf ihren Produkten auf – hier könnt Ihr mehr darüber erfahren. Diese Fair Trade Labels sind teilweise sehr bekannt und anerkannt. Doch die Beschäftigung mit Fair Trade geht viel tiefer beim Weltladen. Regelmäßig steht der Weltladen Bornheim im Austausch mit Fair Trade Organisationen, auch weniger bekannten, in der ganzen Welt – es wird diskutiert, voneinander gelernt und ein tiefes Verständnis für Fair Trade als globales Thema wird erarbeitet.

 

Wenn also ein Weltladen ein Fair Trade Siegel auf ihren Produkten führen, auch ein solches, das wir als Konsument:innen nicht gut kennen, können wir dem Label mehr trauen, weil der Weltladen bekannt dafür ist, sich gut zu informieren? Mein Gefühl sagt mir: ja – was denkt ihr? Ein Label, welches mir besonders imponiert hat, ist „Global Mamas Guaranteed Fair Trade„. Bei diesem Standard wird nicht nur auf faire Arbeitsbedingungen geachtet, sondern den Menschen (vor allem Frauen), die in Handarbeit die Kleider herstellen, wird buchstäblich ein Gesicht gegeben – Meet the Mamas. Auf jedem Kleidungsstück sind die Namen der an der Produktion beteiligten Frauen geschrieben. Keine großen, unabhängigen Zertifizierungsinstanzen, dafür Nähe zur Urproduktion der Kleidung über Geschichten und Gesichter. Mode beim Weltladen Bornheim wird auf ihrer Webseite übrigens unter der Rubrik Kunsthandwerk geführt – da passt es meiner Meinung nach sehr gut hin. 🙂

…und die Moral von der Geschichte?

Ich für meinen Teil muss das ganze noch etwas wirken lassen. Was ich erst einmal mitnehme, ist, dass Einzelhändler im Bereich Mode sowie Modehersteller sich zwischen allgemein anerkannten, breitflächig geprüften Standards und individuellen Lösungen bewegen, um Transparenz und Vertrauen in die Beachtung sozialer und ökologischer Standard in globalen Lieferketten herzustellen. Und ich freue mich schon darauf, dieses Thema mit Euch in unserem Zukunftsworkshop in 2022 zu vertiefen.

Was haben wir gelernt:

  • Große Marken und unabhängige, große Zertifizierung bewegen etwas in der Welt der Mode.
  • Die Möglichkeiten, Transparenz in der Wertschöpfungskette darzustellen sind mannigfaltig. Unabhängigkeit der Zertifizierungsinstanzen ist zwar ein wichtiger Aspekt – individuelle Lösungen, die Transparenz herstellen, sind jedoch nicht unbedingt weniger glaubwürdig.
  • Kleine Marken können sich Zertifizierungen nicht immer leisten. Man kann sie jedoch eher in der Tiefe kennenlernen und darüber Vertrauen in soziale und ökologische Bedingungen kennenlernen.
  • Produktion von Mode passiert oft weit entfernt von den Orten an denen wir sie konsumieren und sie tragen. In einer globalisierten Welt gibt es jedoch trotzdem Möglichkeiten, mehr über die Menschen an diesen entfernten Orten und ihre Bedingungen zu erfahren – manchmal sogar mit Foto und Name.

Themen für den Zukunftsworkshop 2022:

  • Wie können diese unterschiedlichen Möglichkeiten, Transparenz und Verantwortung im globalen Kontext darzustellen in einem Lieferkettengesetz geltend gemacht werden?
  • Was denken andere Einzelhändler über Transparenz und Vertrauen in globale Lieferketten?

Und hier noch ein paar Artikel und Interviews aus der Vergangenheit, in der Ihr viele interessante Hintergrundinfos zur Modeindustrie bekommt:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eva Howell
Author: Eva Howell

Als Soziologin mit einer Affinität für philosophische Fragestellungen sinniert sie gerne über die Rolle des Individuums im Universum, über Technik und Emotionen und über Natur und Kultur. Als berufstätige, zeitweilig alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und nach vielen Umzügen in In- und Ausland weiß sie aber auch, dass die großen Fragen jeden Tag aufs Neue im Kleinen und in sehr spezifischen Lebensumständen ausgehandelt werden. Um einen Beitrag dazu zu leisten, die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele alltagstauglich zu machen und den Alltag zukunftsfähig zu machen, bearbeitet sie in Projekten gerne alltägliche und zugleich komplexe Themen, wie beispielsweise Ernährung. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden gewappnet sowie einer guten Dosis Kreativität und ihrer so sympathischen Bedachtheit versteht sie es, mit Schulungsteilnehmer:innen und Projektpartner:innen aus unterschiedlichen individuell-emotionalen, sozio-kulturellen, gesellschaftlich-politischen, rational-wirtschaftlichen oder pragmatisch-praktischen Perspektiven gemeinsame Ansätze und Ideen zu generieren.

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Author: Eva Howell

Als Soziologin mit einer Affinität für philosophische Fragestellungen sinniert sie gerne über die Rolle des Individuums im Universum, über Technik und Emotionen und über Natur und Kultur. Als berufstätige, zeitweilig alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und nach vielen Umzügen in In- und Ausland weiß sie aber auch, dass die großen Fragen jeden Tag aufs Neue im Kleinen und in sehr spezifischen Lebensumständen ausgehandelt werden. Um einen Beitrag dazu zu leisten, die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele alltagstauglich zu machen und den Alltag zukunftsfähig zu machen, bearbeitet sie in Projekten gerne alltägliche und zugleich komplexe Themen, wie beispielsweise Ernährung. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden gewappnet sowie einer guten Dosis Kreativität und ihrer so sympathischen Bedachtheit versteht sie es, mit Schulungsteilnehmer:innen und Projektpartner:innen aus unterschiedlichen individuell-emotionalen, sozio-kulturellen, gesellschaftlich-politischen, rational-wirtschaftlichen oder pragmatisch-praktischen Perspektiven gemeinsame Ansätze und Ideen zu generieren.