Interview mit Steve Döschner vom Berliner Start-up KIEZBETT über dezentrale Wertschöpfung, heimisches Holz und CO2

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25. Mai 2019

ÜBER DEN AUTOR
Marlene Haas
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Interview mit Steve Döschner vom Berliner Start-up KIEZBETT über dezentrale Wertschöpfung in Ostdeutschland, heimisches Holz mit und ohne Siegel und CO2-Ausgleich für ein sowieso schon nachhaltiges Produkt

Foto: Julia Kneuse

„Für uns sind alle Wege von Bedeutung“, sagt Steve Döschner mir am Telefon, als ich ihn nach der Lieferkette seines Produktes frage… Eigentlich hätten wir gar nicht nachfragen müssen, denn das Team von Kiezbett hat im Internet die Wege ihres Produktes so transparent und übersichtlich nachvollzogen, dass kaum eine Frage offen bleibt:

Mit dem Motto #ruhigschlafen setzt das junge Unternehmen auf die Herstellung eines nachhaltig, sozial und fair produzierten Öko Massivholzbetts aus regionaler Wertschöpfung. Ruhig schlafen im doppelten Sinne also, im Kiezbett mit ruhigem Gewissen.

Der Förster, der Holzbetten produziert

Das Produkt klingt rundum stimmig, deshalb frage ich Steve als erstes nach seiner Motivation, ausgerechnet Möbelhersteller zu werden.

Er erzählt, dass die Idee zu Kiezbett aus eigenem Leidensdruck heraus entstanden ist. Vor einigen Jahren wollte Steve sich ein Bett mit Holz aus dem Baumarkt bauen.

Als er feststellte, wo dieses herkommt, war er als Förster und freiberuflicher Ökologe nicht zufrieden mit seinem Werk. Doch wie kann „man“ es regional und besser machen? Er traf eine Kollegin, die Innenarchitektin und Designerin ist, und sie legten los…

Mehrwegverpackung von RePack für den Bettenversand per Post oder mit Lastenrad im Berliner Kiez

Ist denn Euer Bett wirklich 100 % regional? Ode verstecken sich in den Details dann doch mehr Kilometer, frage ich Steve. „Du kannst beruhigt sein. Das Bett wird wirklich zu 100 % im Großraum Berlin produziert, das heißt innerhalb von 200 km“, sagt er.

Das Start-up wirbt mit dem Versand über Lastenräder. Ich frage mich, ob so ein gutes Produkt nicht mittlerweile deutschlandweit vertrieben wird, was den Transport per Rad durchaus erschweren könnte.

„Das stimmt natürlich“, meint Steve. „Am Anfang war das tatsächlich eine Herausforderung, verschicke mal ein Bett. Mittlerweile haben wir aber eine Lösung gefunden und verschicken entweder per Post mit dem wiederverwendbaren RePack System, mit einer Familienspedition ohne schlecht bezahlte Subunternehmer, teurer, aber das ist es uns wert, oder eben per Lastenrad im Kiez.“

Die Betten werden in Berlin mit E-Auto von der Werkstatt abgeholt, zu einer zentralen Verteilstation gebracht und von dort mit Lastenrad ausgeliefert. Für außerhalb Berlins gibt es teils auch noch Zwischenlager.

Im Gespräch über den Versand zeigt sich, wie aus einem kleinen Start-up im Kiez ein Betrieb wächst, der sich weiterentwickeln muss, um Kunden auch in weiterer Ferne zu erreichen. Deshalb frage ich den Kiezbett-Gründer, ob eine Masse wie sie IKEA produzieren lässt, überhaupt in der Qualität mit den strengen Kriterien für sie stemmbar wäre.

Dezentrale Wertschöpfungsketten statt Massenproduktion

„Die Wertschöpfungsketten wären dezentral in Ballungsräumen aufbaubar, uns lasten zum Vergleich bereits 50 Bettbestellungen im Monat aus. Wenn wir also von der Nische in den Massenmarkt wollten, bräuchten wir ein Management, das die dezentralen Produktionsstandorte so koordiniert, dass die Wertschöpfungsketten jeweils regional bleiben. Das ginge mit vielen kleinen Betrieben. Vor allem in Süddeutschland gibt es auch noch mehr lokale Holzverarbeitung im Vergleich zu den neuen Bundesländern.“

Anschließend erzählt der Brandenburger spannende Hintergründe zur Wirtschaftsgeschichte, die vor allem im Bereich der regionalen Wirtschaftskreisläufe im Kontext der „kurzen Wege“ von großer Bedeutung sind.

KIEZBETT als Antwort auf strukturschwache Regionen in Ostdeutschland

„Die Betriebe wurden in der DDR ja bekanntermaßen enteignet. Nach der Wiedervereinigung mussten die ehemaligen Eigner ihre Unternehmen zurückkaufen, meist mit Schrottgeräten. Der Marshall Plan hatte in der Zwischenzeit in Westdeutschland zum Wirtschaftswunder beigetragen, so dass Anfang der 90er westdeutsche Händler gekommen sind, die mit den kleinen und mittelständischen Sägewerke – die nicht mehr in der Region verkaufen konnten, weil es nicht genug Abnehmer gab – Vertragsbindungen verhandelten, so dass die Sägewerke oft bis heute ihren Kunden vermitteln müssen, dass diese theoretisch nur bei dem Vertragspartner, also Holzhändler xy, einkaufen können.“

Doch es gibt Ausnahmen: Steve berichtet, dass sie mit ihrem Inklusionsbetrieb mittlerweile die komplette Wertschöpfung abbilden können. Baum absägen, aufspalten, trocknen und dann weiterverarbeiten zu Möbelqualität, z.B. zu große Astlöcher aussieben.

Um das Kiezbett auch langfristig in der wirtschaftlich strukturschwachen Region Brandenburgs zu halten, ist das Team in der ständigen Weiterentwicklung mit den beteiligten Lieferanten und Partnern.

So entstehen anknüpfende Projekte wie zukünftig der Bau einer inklusiven Kita und Schule, sogar inklusive Ausbildungsstellen werden entstehen. Das funktioniert, weil das Kiezbett in Kooperation mit einer Gemeinde entwickelt hat, die einen Privatwald bewirtschaftet.

FSC, Naturland oder Vertrauen statt Siegel

Ich frage nach, wie es beim Kiezbett mit Siegeln gehandhabt wird, da ich etwas von „Naturland“ gelesen habe – wo doch bei Holz meistens das Thema „FSC“ aufkommt.

Als Förster weiß Steve natürlich Bescheid und gibt uns eine kleine Schulungseinheit: „In Deutschland bzw. auch in Österreich und der Schweiz existiert per se nachhaltige Forstwirtschaft. Die Auflagen sind bei uns so reguliert, dass zum Beispiel in der Schweiz so genannter ‚Plenterwald‘ mit allen Baumaltersklassen forciert wird, da ist eigentlich kein Siegel nötig.

(Anm. aus Wikipedia: Ein Plenterwald ist ein im Plenterbetrieb bewirtschafteter Hochwald. Er ist ein sich stetig verjüngender Dauerwald, in dem Bäume aller Dimensionen (nicht Altersklassen!) kleinstflächig bis einzelstammweise vermischt sind. Im Plenterbetrieb werden einzelne Bäume gefällt und so ein permanenter Hochwald geschaffen. Trotz des vermeintlich urwaldähnlichen Charakters ist der Plenterwald ein bewirtschafteter Forst.)

Das Holz aus „Naturland“ zertifizierter Bewirtschaftung bedeute aber noch mehr, erklärt er. Hier sei kein Holzeinschlag während Vogelbrutzeit erlaubt, außer in Naherholungsgebieten, in denen man auch von Tourismus lebt.

CO2  Ausgleich und Bäume pflanzen

Neben dem Kerngeschäft und dem kleinen Store in Berlin, der Zuhause, Verkaufsstelle und Designbüro zugleich ist, ist Steve besonders stolz darauf, dass sie mit Schulklassen Bäume nachpflanzen, für jedes Bett, das außerhalb von Berlin verkauft wird. „Das ist unser CO2 Ausgleich und schafft ein Momentum für Kinder.“

Zu den großen Möbelkonzernen weiß er noch zu sagen: „Großhändler nehmen meist eine höhere Marge, das geht für das Kiezbett nur ohne Zwischenhändler im Direktvertrieb.“

Damit das hochwertige Bett aber auch von Geringverdienern angeschafft werden kann, bietet das Team ein Patenmodell und Ratenzahlung, auch alte Betten nimmt das Start-up als B Ware in Zahlung.

Die Mission ist klar: Geld regional umverteilen, Bewusstsein schaffen, regionale Wertschöpfung stärken – schlichtweg inspirieren! Wichtig dabei: die Kunden fragen explizit nach kurzen Wegen und regionalen Wertschöpfungsketten. Klingt, als könnten bald noch mehr Menschen #ruhigschlafen.

Foto: Joris van Velzen

Foto: Joris van Velzen

Foto: Joris van Velzen

Foto: Florian Reimann

 

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