Klimaschutz und Digitalisierung: Wer macht die Arbeit? Team Insights 2021-21

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11. November 2021

ÜBER DEN AUTOR
Marlene Haas
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Neulich bei der Lust auf besser Leben gGmbH … 

Wenn wir über Zukunftsthemen sprechen, die mittlerweile über Wahlen und vor allem unser gesellschaftliches Leben entscheiden, sind Klimaschutz und Digitalisierung vorne mit dabei. In meinen Diskussionen über die genannten Trends geht es meistens um – nennen wir es mal – technische Fragestellungen: Wie hoch müssen wirkungsvolle CO2-Preise sein? Wie kann Digitalisierung so gestaltet werden, dass sie zu Klimaschutz beiträgt, anstatt ihn durch Massenkonsum neuer IT-Produkte wie Streamingdienste und co. zu befeuern? Wie kann eine gesellschaftliche Rendite erwirtschaftet werden, die allen zu Gute kommt, anstatt nur wenigen Investoren? Stichwort „Commons“. Letztendlich geht es darum, in welcher Gesellschaft wir leben möchten und ob der tiefgreifende strukturelle Wandel, der JETZT notwendig ist, auch zu mehr Verteilungsgerechtigkeit und sozialem Frieden führen kann.

Wer baut die Energie- und digitale Wende?

Die Frage, die eher selten den gesellschaftlichen Diskurs dominiert, ist Folgende: Wer macht eigentlich die Arbeit?

Bis vor wenigen Wochen habe ich darüber kaum nachgedacht. Vielleicht geht es Euch genauso, vielleicht seid Ihr gedanklich auch schon viel weiter; dann würde ich mich über Impulse freuen.

Jedenfalls habe ich innerhalb von wenigen Tagen zwei Gespräche geführt, die mich sehr zum Grübeln gebracht haben. Eines ging um den Ausbau unseres Glasfasernetzes. Dieser könnte an sich bereits viel weiter sein. Die Summen, die aktuell in den Ausbau investiert werden, sind unvorstellbar hoch. Laut „Onvista“ investiert allein die Telekom dafür ab 2022 jährlich sechs Milliarden Euro in Deutschland. Erklärtes Ziel: bis 2024 zehn Millionen versorgte Haushalte. Aktuelle sind es etwa 3,5 Millionen.

Doch das Aufreißen der Straßen, das Legen neuer Trassen, die Kärrnerarbeit – wer will, wer kann sie eigentlich noch machen? Gerade in den Metropolen sind Tiefbaufirmen Mangelware und selbst wenn ein Unternehmen das Glück hat, ausreichend Tiefbaubetriebe zu finden, müssen wir uns mit einer ganz anderen Herausfordernung beschäftigen: Keine:r will es machen.

Bei der Energiewende, notwendig für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels, ist es das Gleiche: Wir brauchen eine neue Infrastruktur. Die baut sich nicht von heute auf morgen. Doch ohne kompetente Baufirmen und Arbeitskräfte geht es nicht mal bis 2030.

Die Firmen beschäftigen oft Arbeiter:innen aus den östlich liegenden Staaten, die zu einem ganz anderen Gehalt und häufig mit anderem Wissen (denn wir nehmen Standards hier schon sehr genau) arbeiten. Diese Menschen leben hier für Wochen und fahren dann heim zu ihren Familien, die sie mit ihrem (für Deutsche nicht) guten Gehalt finanzieren. Kommt Euch das bekannt vor?

Blick in die Geschichte des Wandels

Wenn ich über die Zukunft nachdenke, fange ich oft bei der Vergangenheit an. Denn auch wenn sich die Themen ändern, gibt es doch Muster, die sich häufig zu wiederholen scheinen.

Nach meinen Gesprächen musste ich sofort an die Gastarbeiter:innen denken, die mit dem Wirtschaftswunder in die Bundesrepublik kamen, weil der inländische Arbeitsmarkt vergeblich auf der Suche nach Arbeiter:innen für den „Aufbau“ war. Für die damit einhergehenden multikulturellen Errungenschaften bin ich als Frankfurterin, die 1989 geboren wurde, sehr dankbar. Doch damit einher geht eben auch viel Leid, welches noch immer nicht richtig aufgearbeitet und anerkannt wurde. Gerade kürzlich hat 3sat dazu eine spannende Doku-Reihe veröffentlicht, die noch in der Mediathek zu sehen ist.

Laut „Planet Wissen“ kamen 2014 die Hälfte der Migrant:innen aus den neuen EU-Ländern wie Rumänien und Bulgarien, aber auch Polen und Ungarn. Ich vermute, dass die Arbeitskräfte, die für das Gelingen unserer Klima- und der digitalen Infrastruktur sorgen, gar nicht primär in diese Statistiken fallen. Denn sie migrieren nicht.

Und das ist einer der großen Unterschiede zu damals. Ich frage mich: Wo sind die für uns oft Unsichtbaren? Die unter der Woche unsere Infrastruktur bauen und danach wieder zurück in ihre Heimat fahren. Wer sind sie, was denken sie über Deutschland, über Energiewende oder schnelles Internet für jeden Haushalt?

Die meisten von uns fahren ohne Anerkennung oder Aufmerksamkeit, ohne Würdigung ihres Tuns tagtäglich an ihnen vorbei – auf Straßen, die sie aufreißen, um Kabel zu „schießen“, von denen wir profitieren und die sonst kaum einer verlegen würde.

Was sollten wir ändern?

Wenn wir hier über „Fairen Handel“ sprechen, über nachhaltiges Wirtschaften und menschenwürdige Arbeit, fragen wir uns meiner Meinung nach viel zu selten, was in unserem Umfeld diesbezüglich passiert.

Und ich kann nicht einmal anprangern, dass alle Arbeitsverträge im Niedriglohnsektor sind, obwohl ich es in der Mehrzahl vermute. Deutsche Verträge in deutschen Tiefbaufirmen, die sich an gesetzliche Standards, Sozialleistungen und Mindestlohn halten (müssen).

Worum es mir geht, ist eher ein Hinterfragen der Selbstverständlichkeit, mit der wir über Themen wie Digitalisierung und Klimaschutz sprechen ohne uns die soziologischen, kulturellen Kontexte anzuschauen.

In Extremfällen sahen wir das Ergebnis dieser Ignoranz oder Blindheit beim Bau der EZB auf dem „Arbeiterstrich“ stehen. Ich weiß nicht, wohin die Reise geht in einem Land, in dem alle (gefühlt) studieren müssen und sich auf immer abstraktere Tätigkeiten verständigen, die vielen von uns nicht einmal gut tun.

Nicht, dass die Bauarbeit unbedingt gut täte; es geht mir um Sensibilisierung – Ihr versteht …

Damit belasse ich es für heute,

Eure Marlene

Bildquelle: Pixabay.com, stux / 7270 images

Marlene Haas
Author: Marlene Haas

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