Kommunikation von Nachhaltigkeit im Handel: Authentizität vs. Greenwashing
27. Oktober 2022
Jaya Bowry
Wenn Händler:innen und andere Kleinstunternehmer:innen sich dazu entscheiden, nachhaltiger zu werden, liegt dies meist an einer persönlichen Motivation oder der gesteigerten Nachfrage von Kund:innen. Nachhaltigkeit über die gesamte Lieferkette zu gewährleisten, wirft bei Händler:innen viele Fragen und Schwierigkeiten auf. Dazu haben wir bereits in der Zusammenfassung unseres Zukunftsworkshops „Der Einzelhandel und seine (nachhaltige?!) Lieferkette“ berichtet. Dieser Workshop fand im Rahmen unseres Projekts „Hinter der Ladentheke“ – Geschichten aus dem Einzelhandel zu globalen Lieferketten statt.
Wir haben uns vorgenommen, einige der Impulse aus dem Workshop in vertiefenden Artikeln noch einmal genauer zu beleuchten und hoffen, euch erste und hilfreiche Tipps geben zu können. Gesina navigierte uns zuletzt durch den Siegel-Dschungel und ich widme mich heute dem Thema Kommunikation von Nachhaltigkeit und dem Problem von Greenwashing. Am Ende des Artikels findet ihr eine Liste mit Tipps zur Kommunikation von Nachhaltigkeit in eurem Unternehmen!
Warum Kommunikation in und über Lieferketten wichtig ist
Der Handel steht seit Jahren vor großen Herausforderungen. Den normalen Betrieb aufrecht zu erhalten, steht meist im Fokus. Viele Inhaber:innen von kleineren Einzelhandelsunternehmen haben es schwer, geeignete Mitarbeiter:innen für den Verkauf zu finden und so stehen sie häufig selbst hinter der Ladentheke. Da bleibt oft wenig Zeit, sich Themen wie der eigenen Lieferkette und der Kommunikation der nachhaltigen Produkte und Produktkriterien im Sortiment zu widmen.
Fakt ist aber auch, dass Kund:innen sich mehr und mehr für die Nachhaltigkeit von Produkten interessieren. Um Auskunft über Herkunft, Arbeitsbedingungen und Produktionsweise der betroffenen Konsumgüter geben zu können, sollten alle relevanten Informationen über die Lieferkette verfügbar sein. Idealerweise sollte der Blick entlang der Lieferkette bis zur Rohstoffebene möglich sein, damit die Informationen vollständig und nachvollziehbar bei den Händler:innen und schließlich bei den Kund:innen landen. In der Realität ist dies jedoch selten der Fall. Das Wissen der Händler:innen über Nachhaltigkeitsaspekte entlang der Lieferkette ist aber schon jetzt eine wichtige Voraussetzung für die steigende Nachfrage nach Transparenz von Kund:innen. Auch ist es wichtig, Informationen bereitzustellen, denn Wissen und Nachfrage bei Kund:innen entsteht nur, wenn entsprechende Informations- und Bildungsangebote gemacht werden. Speziell die Lieferketten von kleinen Unternehmen zu betrachten und ein wenig transparenter zu machen, ist eines der Ziele des Projekts „Hinter der Ladentheke“. Schaut euch doch mal unsere 8 Blogartikel an, hierfür haben wir in Interviews mit kleinen Unternehmen interessante Informationen aus den Bereichen (Sport-)Mode, Tee, Grabsteine, Pharmazie, Spielzeug, Möbel und Kosmetik gesammelt.
Wie kann ich als Einzelhändler:in Nachhaltigkeit nun glaubhaft kommunizieren?
Eine nachhaltige Kommunikation muss authentisch und wahr sein. Greenwashing dagegen bezeichnet eine Art der Kommunikation über Nachhaltigkeit, die ein Produkt nachhaltiger aussehen lässt als es ist. Es wird also lediglich mit dem Label der Nachhaltigkeit gespielt bzw. Marketing betrieben, um Gewinne zu erzielen und das eigene Image aufzupolieren. Das kann funktionieren, kann aber auch nach hinten losgehen. Wenn Greenwashing aufgedeckt wird, kann dies dem Unternehmen und der gesamten Branche erheblichen Schaden (z.B. ein Imageschaden, rechtliche Konsequenzen, sinkende Verkaufszahlen). Übrigens läuft gerade ein Verfahren gegen H&M wegen Greenwashingvorwürfen. Ich möchte hier aber gar nicht über die Vor- und Nachteile von Greenwashing berichten. Denn Greenwashing ist aus meiner Perspektive ein „no-go“ und auch nicht legal, auch wenn es noch rechtliche Grauzonen gibt.
Es ist toll, wenn Händler:innen nachhaltige Produkte verkaufen, ihre Lieferkette unter die Lupe nehmen und sich hinsichtlich Nachhaltigkeit insgesamt verbessern möchten. Diese Anstrengungen dürfen auch gerne geteilt werden und ebenso dürfen Fehler und Rückschläge zugegeben werden. Marketing über Nachhaltigkeit ist kein Greenwashing, sofern denn wirklich Anstrengungen in Richtung Nachhaltigkeit unternommen werden.
Das ist also die wichtigste Voraussetzung für eine glaubhafte Kommunikation hinsichtlich Nachhaltigkeit: Kein Greenwashing!
Das sollte selbstverständlich sein, ist es aber für viele Unternehmen leider noch nicht.
Folgen von Greenwashing im Handel
Wie können Händler:innen Produkte identifizieren, deren Nachhaltigkeit weit hinter dem zurück bleibt, was in der Werbung dargestellt wird? In unserem Zukunftsworkshop kam hierzu eine interessante Diskussion auf. Ausgangslage war ein Produkt, das als besonders nachhaltig vom Hersteller kommuniziert wurde, später aber als Greenwashing entlarvt wurde. In dem Produkt waren weitaus weniger Recyclingmaterialien vorhanden als zunächst angegeben – ein Supergau für den Hersteller, der aber natürlich selbst schuld ist. Hier wurde einfach mit falschen Zahlen Marketing betrieben und das Produkt besser dargestellt als es war. Die Händler:innen, die dem Nachhaltigkeitsversprechen geglaubt haben und die Produkte nun in ihren Läden verkaufen, bleiben nun unter Umständen auf der Ware sitzen, weil das Produkt einen Imageschaden davongetragen hat. Hier kann man bei Utopia.de eine Zusammenfassung des Falles lesen.
Vertrauen ist in der Nachhaltigkeitsbranche enorm wichtig. Solche Greenwashing-Skandale können zu einem Vertrauensverlust der gesamten Branche führen. Gerade Kund:innen, die sich erst neu in dem Feld bewegen, werden enorm verunsichert und fragen sich, was nun wirklich nachhaltig ist und was nicht.
Aber was können Einzelhändler:innen nun tun, um Greenwashing im eigenen Sortiment zu verhindern?
Einzelhändler:innen als vorletzte Station in der Lieferkette vor den Kund:innen haben die schwere Aufgabe, die Nachvollziehbarkeit von eng verwobenen globalen Produktströmen zu gewährleisten. Sie sind in diesem Fall Kunden der Hersteller:innen, die versuchen Greenwashing zu erkennen. Dazu braucht es eine Reihe von Kompetenzen: Die Händler:innen müssen selbst über ein Grundwissen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Lieferketten verfügen und dieses dafür nutzen, Produkte zu bewerten und auszuwählen. Beispielsweise sollten Händler:innen glaubwürdige Siegel und Zertifizierungen aus ihrer Branche kennen. Die wenigsten Händler:innen schaffen es, ihre Lieferketten klein und regional zu halten und eine persönliche Überprüfung hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Produkte ist meist utopisch (z.B. ein Vor-Ort-Besuch, um sich über die Produktionsbedingungen bzw. Arbeitsbedingungen zu informieren). Hier bleibt in den meisten Fällen nur stetiges Nachfragen bei und Vertrauen in die Vorlieferant:innen. Wünschenswert sei beispielsweise ein Q&A hinsichtlich Nachhaltigkeit, das die Produzenten zur Verfügung stellen, so eine Teilnehmerin unseres Zukunftsworkshops. Für Gespräche mit den Endkund:innen sind Informationsangebote von den Produzenten für die Händler:innen enorm hilfreich. Die Datenqualität wird in Zukunft durch politische Vorgaben, wir der EU-Taxonomie und ausgeweiteten Berichtspflichten sowie das Lieferkettengesetz hoffentlich steigen. Derzeit bleibt meist nur, in den Dialog mit den Lieferanten zu gehen, Vertrauen zu schaffen und sich um Transparenz zu bemühen. Der Ethik.guide hat eine hilfreiche Sammlung erstellt wie Greenwashing zu erkennen ist. Zum Beispiel sollte man aufhorchen, wenn für ein Produkt irrelevante oder selbstverständliche Fakten besonders hervorgehoben werden.
Ist es bei all den Fallstricken, sinnvoll über Nachhaltigkeit zu kommunizieren? Wie sollte vorgegangen werden?
Es ist verständlich, dass manche Händler:innen verunsichert sind und aus Angst davor, angreifbar gemacht zu werden, lieber weniger kommunizieren. Letztendlich ist dies jedem selbst überlassen. Allerdings wäre es schade, wenn ein vorhandenes nachhaltiges Angebot nicht die interessierte Zielgruppe erreicht. Daher hier eine Liste mit Tipps für eure authentische Kommunikation hinsichtlich Nachhaltigkeit:
- Kommuniziert, was euch wichtig ist, was ihr konkret tut, und macht die Prozesse transparent. Erzählt die Geschichte eures Weges hin zu mehr Nachhaltigkeit
- Werdet euch bewusst, was Kund:innen hinsichtlich Nachhaltigkeit wissen möchten und versucht diese Fragen als erste anzugehen.
- Erkennt, dass Hersteller eine andere Art der Kommunikation haben als der Handel. Wenn besonders offensiv und aggressiv mit Nachhaltigkeit in einer wenig nachhaltigen Branche geworben wird, lohnt sich ein zweiter Blick.
- Macht es den Endkonsument:innen leicht. Erfragt Informationsmaterialien über die Nachhaltigkeit der Produkte, die ihr weitergeben könnt.
- Vermittelt, warum ihr eure Produkte wertschätzt und ausgewählt habt. Ist Euch Langlebigkeit besonders wichtig? Wollt ihr nur Produkte mit bestimmten Siegeln verkaufen? Sollen die Produkte aus der Region sein?
- Macht den Kund:innen deutlich, dass ihr mit der Auswahl der Produkte bereits eine Dienstleistung anbietet. Ihr habt recherchiert, welche Nachhaltigkeitskriterien eure Produkte erfüllen, und könnt sie dahingehend beraten.
- Bezieht die Kund:innen bei der Sortimentsgestaltung mit ein. Fragt, was ihnen wichtig ist.
- Bietet Kund:innen Information und Aufklärung an, ohne sie zu überladen.
- Tut euch mit Händler:innen zusammen, die ähnlich denken. Vielleicht könnt ihr gemeinsam das Thema Nachhaltigkeit kommunizieren.
- Nachhaltigkeit beinhaltet auch die soziale Nachhaltigkeit. Bitte vergesst bei eurer Kommunikation nicht die Zielgruppe, die weniger Affinität zu den digitalen Medien besitzen. Ein Mix aus klassischen Marketingmaßnahmen und den sozialen Medien ist zu begrüßen.
Wo gibt es Unterstützung? Was wird noch benötigt?
Im bereits erwähnten Workshop haben die Teilnehmenden uns gefragt, wie und wo sie Unterstützung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Kommunikation bekommen. Eine Stelle, die Einschätzungen darüber vornimmt, was als nachhaltig erachtet werden kann und was nicht, wäre schön. Leider gibt es diese Anlaufstelle in der Form nicht und eine Recherche im Netz ist wohl in den meisten Fällen notwendig. Eine gute Adresse ist hierfür die Seite letsflip.de. Dort recherchieren unabhängige Journalist:innen zu Greenwashing-Themen. Wenn insgesamt Fragen zur Kommunikation und Marketing bei Händler:innen bestehen unterstützt das Visionsbüro Frankfurt sehr gerne. Auch wir als Lust auf besser leben stehen mit Rat und Tat zur Seite. Eine Mitgliedschaft im Botschafter:innenprogramm für nachhaltige Entwicklung kann auch helfen und den Austausch untereinander zu Themen der Nachhaltigkeit fördern.
Weiterführende Informationen und Quellen:
Onlinehändler News (o.J.): Was Händler beim Werben mit Nachhaltigkeit beachten sollten:
Rat für nachhaltige Entwicklung (2021): EU-Taxonomie: So steht es auf dem Weg zur nachhaltigen Wirtschaft: https://www.nachhaltigkeitsrat.de/aktuelles/eu-taxonomie-so-steht-es-auf-dem-weg-zur-nachhaltigen-wirtschaft/
YouGov (o. J.). Nachhaltigkeit – mehr als nur Bio und Fair Trade: https://yougov.de/news/2022/08/09/nachhaltigkeit-mehr-als-nur-bio-und-fair-trade/
Ethik.Guide (2021): Wie erkenne ich Greenwashing: https://ethikguide.org/blog/wie-erkenne-ich-greenwashing/
Fashion United (2022): Greenwashing-Vorwürfe: Wie H&M Nachhaltigkeitswerte geschönt haben soll: https://fashionunited.de/nachrichten/business/greenwashing-vorwuerfe-wie-h-m-nachhaltigkeitswerte-geschoent-haben-soll/2022070647289
Utopia.de (2022): Greenwashing-Vorwurf gegen Got Bag – Influencer:innen beenden Kooperation: https://utopia.de/news/greenwashing-vorwurf-gegen-got-bag-influencerinnen-beenden-kooperation/
Codecheck (o. J.): https://www.codecheck.info (auch als App)
Siegelklarheit (o. J. ): siegelklarheit.de
Verbraucherschutz.com (2021): Greenwashing: Den Betrug mit der Umwelt erkennen und vermeiden: https://www.verbraucherschutz.com/ratgeber/greenwashing-den-betrug-mit-der-umwelt-erkennen-und-vermeiden/
Jaya ist eine echte Superheldin. Die (bald) promovierte Kulturanthropologin ist ebenso Expertin in Sachen nachhaltiger Konsum und Ressourcenschutz wie sie mit links als Eventmanagerin Konferenzen organisiert oder Konzepte strategisch entwickelt und umsetzt. Mit Lust auf besser leben ist sie schon seit Jahren im Kontakt und seit 2019 endlich fester Teil des Teams.
Ihre strukturierte Art zu arbeiten und parallel mit vollem Durchblick – gefühlt unendlich – viele Projekte zu koordinieren beeindrucken das gesamte Team.
Die frisch gebackene Mutter sagt, was sie denkt und ist eine echte Schafferin. In ihrer Freizeit philosophiert Jaya gerne über Ernährung im Fußballstadion und spielt Volleyball. Im Herzen hin- und hergerissen zwischen Frankfurt und Bad Nauheim lebt sie aktuell in der schönen Wetterau – wir vermissen sie schon in der Stadt am Main. Sie hat im Fach Kulturanthropologie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz zu (nachhaltigem) Ernährungsverhalten in Fußballstadien promoviert.