Spielzeug: Spaß und ein sich wandelndes globales Spielfeld
7. November 2021
Eva Howell
Spielzeugläden machen Spaß! Ich liebe es, durch diese Geschäfte zu laufen und zu sehen, welch kreative und phantasievolle Spielgegenstände es dort zu finden gibt. Manche erinnern mich an meine eigene Kindheit in den 80er und 90er Jahren – Playmobil, Lego, Barbiepuppen kannten wir auch damals schon und haben ihre Relevanz heute nicht verloren. Manche machen mich auch neidisch – früher habe ich mir aus Bänken und Kissen eigene Pferde gebaut, auf denen ich „Reiten“ spielen kann, heute gibt es lebensgroße Pferde, auf denen man reiten kann, für gar nicht so viel Geld überall zu kaufen. Manche Gegenstände sind für mich auf den ersten Blick ungewohnt, sie sind verknüpft mit digitaler Technik und bieten völlig neue Welten für Kinder, die ich nicht immer verstehe, aber das vielleicht auch nicht muss. Manche Gegenstände entsprechen meinem Sinn für Ästhetik – schöne hölzerne Formen in bunten Farben – und ich frage mich, ob Kinder das auch so sehen. Manche Gegenstände regen einfach an, selbst kreativ zu werden – Knete, Farben, Perlen, Stoffe…
Man will es eigentlich nicht tun, denn diese Welt ist ach so schön. Doch als jemand, der sich nicht nur mit Schönheit, sondern auch mit den ökologischen und sozialen Schattenseiten dieser Welt beschäftigt, möchten wir heute mal ein bisschen tiefer bohren und kritisch hinterfragen. Für unsere nächste Geschichte in der Blog-Reihe „Hinter der Ladentheke“ haben wir uns deshalb mit Franz Steul des Traditionsgeschäfts Meder in Bornheim unterhalten. Unsere Fragen: Wie wählt ein Einzelhändler seine Spielzeuge aus? Auf was kann er dabei achten? Müssen wir sehr beunruhigt sein zu Themen der Ökologie und des Sozialen in der Industrie, den Lieferketten und den Prozessen hinter den Spielzeugen oder gibt es dabei bereits Bewegungen, die wir gutheißen können? Wir sind uns nicht sicher…..
Aber mal von vorne….wie wird das Sortiment gewählt?
Der Einzelhändler Meder bietet neben Geschenkartikeln, Glas- und Porzellan, Haus- und Küchengeräten auch eine sehr große Auswahl an Spielwaren. Auf der Webseite lautet es: „Für kleine Piraten, Ritter, Burgfräuleins, Puppenmuttis, Kuschelbärenbändiger und viele andere haben wir nahezu alles da, was das Herz begehrt: von Lego, Playmobil, Steiff und Brio bis hin zu Pustefix. […] In unserer Spielwarenabteilung führen wir 2-F Spiele, Abacus, ADC-Blackfire, Amigo, Asmodee, Feuerland, Haba, Huch, Iello, Kosmos, Lookont, NSV, Pegasus, Portal Games, Ravensburger, Schmidt, Zoch und viele mehr!“
Nach welchen Kriterien wählt Meder dieses Sortiment aus? Dabei spielen die Nachfrage der Kund:innen und Erfahrungen damit, was gut verkauft werden kann, gleichermaßen eine Rolle wie das, was der Markt bietet und was auf großen Messen angepriesen wird. Die Seite der Nachfrage wird dabei, so Meder, stark von der Fernsehwerbung beeinflusst. Kinder sehen die Spielzeuge oft erst in Werbespots und wünschen sich diese dann von ihren Eltern. Das Team von Meder geht dann einmal im Jahr auf die Spielwarenmesse in Nürnberg (die größte Spielwarenmesse der Welt) und sie schauen sich dort das neue Sortiment bezüglich Haptik, Innovation und Funktionalität an. Die Zusammenarbeit zwischen der Spielwarenindustrie beziehungsweise Importeuren und Meder besteht schon seit vielen Jahren.
Spielen Überlegungen zu ökologischen und sozialen Themen entlang von Lieferketten eine Rolle bei der Zusammenstellung des Sortiment eines Spielzeugladens?
Nach Franz Steul ist Nachhaltigkeit nicht das erste Entscheidungskriterium bei Meder, aber eines, was immer mehr an Bedeutung gewinnt. Doch was ist überhaupt die Voraussetzung dafür, dass dieses Entscheidungskriterium als erstes herangezogen wird? Während ich mich mit Herrn Steul unterhalte, überlege ich mir, dass es wahrscheinlich sehr unterschiedliche Wege gibt, wie ein Einzelhändler sein Sortiment auswählt und wie auch die Kund:innen ihren Weg zu den Einzelhändlern bahnen. Es gibt sicherlich auch eine Art der Nachfrage von Eltern, die besonderen Wert darauf legen, Spielzeuge mit besonderem Fokus auf Nachhaltigkeit zu kaufen, von Eltern, die ökologische und soziale Hintergründe der Produkte genau kennen möchten. Es gibt jedoch auch einen Markt für und eine Nachfrage von Spielzeugen, die sich von ganz anderen Vorüberlegungen, Wünschen und Motivationen leiten lassen: Was macht Spaß? Nach was fragen meine Kinder? Was kann ich mir leisten?
Franz Steul erklärt, dass er sehr gerne nur „Holzspielzeug“ (ich vermute, er meint damit auch allgemeiner Spielzeug mit bestimmten Eigenschaften der Nachhaltigkeit) verkaufen würde. Doch bei Meder gilt noch ein altbewährtes Konzept des Einzelhandels: Der Kunde ist König. Sie verkaufen, was die Kund:innen wollen – und die kaufen, was sie denken, dass es ihre Kinder zufrieden macht. Auch wenn wir beide sicherlich keine Marktforscher:innen sind und unsere Meinungen noch geprüft werden könnten, bestätigt Franz Steul meine These. „Nicht jeder Kunde hat das Bewusstsein für Nachhaltigkeit oder Standards in Lieferketten. Viele unserer Kunden interessieren sich überhaupt nicht dafür.“
Wie können dann Standards in Lieferketten zu Ökologie und Sozialem überhaupt eine Rolle spielen?
Franz Steul schätz, dass die Themenbereiche Ökologie und Soziales in Lieferketten für 20-30 % der Spielwaren-Kund:innen von Meder eine große Rolle spielen. Doch es sind nicht viele Siegel zu diesen Themen bekannt.
Das wohl bekannteste Siegel, ist die CE-Kennzeichnung. Alle in Deutschland in den Verkehr gebrachten Spielwaren müssen dieses Zeichen haben. Die Kennzeichnung bezieht sich primär auf allgemeine Sicherheits- und Gesundheitsaspekte von Spielzeug und ist auch kein einheitlich festgelegter Standard, sondern hält Hersteller dazu an, bestimmte Eigenschaften ihrer Produkte offenzulegen und zu kennzeichnen.
Auch in eigener, kurzer Recherche finde ich nicht viel Information zu Siegeln in der Spielzeugwelt. Beim PEFC Siegel geht es vor allem um Standards in der Holzbewirtschaftung – ein Rohstoff für nur manche Spielzeugartikel. Das Spiel-Gut-Siegel legt eher den Fokus auf pädagogische Kriterien bei Spielzeug. Das Siegel, welches am ehesten die ökologischen und sozialen Aspekte in den Wertschöpfungsketten von Spielzeug festlegt, ist der Blaue Engel. Dabei sind Kriterien für die Schadstofffreiheit bei Spielzeugen festgelegt. Schadstoffe sind sicherlich ein wichtiges Thema für Eltern, die sich um die Gesundheit ihrer Kinder sorgen. Aber auch in der Produktion von Spielzeug werden grundlegend vorteilhaftere Bedingungen für Arbeiter:innen, wenn mit weniger giftigen Stoffen gearbeitet wird. Es gibt dazu bereits einen regulativen Rahmen der europäischen Spielzeugrichtlinie, in welchem grundlegende Verbote und Richtlinien festlegt sind. Der blaue Engel geht darüber hinaus – in der Beschreibung des Siegels lautet es: „In den vorliegenden Vergabekriterien wird die Einhaltung grundlegender sozialer Kriterien bei der Rohstoffgewinnung sowie in den Endfertigungsstätten der Spielzeugherstellung gefordert. Zudem soll durch wachsende Transparenz seitens der Spielzeughersteller hinsichtlich ihrer Lieferanten künftig die Möglichkeit geschaffen werden, auch auf weiteren Stufen der Wertschöpfungskette die Einhaltung wichtiger Arbeitsnormen zu gewährleisten.“
Die Formulierungen „wachsende Transparenz“ und „künftig“ lassen vermuten, dass es in diesem Bereich noch nicht ausreichend Transparenz gibt. Franz Steul sagt dazu: „Die meisten Waren kommen aus Asien. Und das Problem ist, dass der asiatische Markt nicht transparent ist. Hier in Deutschland kann man vieles durch Siegel und Journalismus etc. aufdecken, in Asien ist das nicht der Fall.“
Mmh….. wie gehen wir damit um? Eine kleine Reflektion zu den bisherigen Geschichten in der Blog-Reihe „Hinter der Ladentheke“ – wie sehr wir doch mit den Räumen des globalen Südens über unseren Konsum verbunden sind!
Welche Fragen wir uns stellen sollten…
Ähnliche Themen in allen bisher vorgestellten Produktgruppen werfen auch für Spielzeuge Fragen auf:
- Die Arbeitsbedingen in den landwirtschaftlichen Strukturen haben wir uns bei unserer Geschichte zu Tee bereits ein bisschen vergegenwärtigt – sind Arbeiter:innen für Rohstoffe von Spielzeug auf ähnlichen Plantagen?
- Für die unverzichtbaren Rohstoffe, die wir für viele Wohlfühlprodukte, wie auch Kosmetik, benötigen, muss unsere Natur teilweise bluten – wie sehr wird die Natur auch für die Herstellung von Spielzeugen strapaziert?
- Der Wunsch nach billigen Preisen, den es auch bei Grabsteinen gibt, kann oft nur über menschenunwürdige Arbeit in entfernten Regionen erfüllt werden – können wir mehr bezahlen, auch für Spielzeuge, und globale Bedingungen verbessern? Sollten wir uns mehr aus diesen Regionen zurückziehen und Rohstoffe sowie Arbeit in unseren Breitengraden nutzen, um andere Regionen zu entlasten? Oder gehen dann dort wieder Arbeitsplätze verloren?
- Bei der Geschichte zu Mode wurde uns deutlich, dass es ein deutliches Spannungsfeld zwischen Transparenz und Vertrauen gibt – sollten wir mehr auf Siegel und Standards setzen, auch wenn diese viel administrativen Aufwand für Kontrollen bedeuten, was sich manche Produzent:innen überhaupt nicht leisten können? Oder sollten wir unsere Lieferanten durch engere Kontakte besser kennenlernen?
- Und wir haben gelernt, dass man bei Produkten, wie beispielsweise Betten, zwar ein einzelnes Endprodukt haben kann, darin aber eine Vielzahl von Komponenten stecken – auch bei vielen Spielzeug stecken viele kleine Komponenten in einem fertigen Produkt. Wie können Händler:innen und wir Endkund:innen die Wege aller Komponenten wirklich kennenlernen?
All diese Fragen sind nach wie vor nicht leicht zu beantworten und globale Lieferketten sind ein weites Feld. Eine übergeordnete Frage lautet vielleicht: Wie ändert sich überhaupt wirklich etwas? Vielleicht können wir bei Spielzeug noch mal einen kleinen Blick in die Bewegungen bei den Produzent:innen und Händler:innen werfen.
Spielzeugproduzent:innen und Händler:innen – was tut sich bei den großen Namen?
In unserem Interview mit Franz Steul wird deutlich, dass ihm das Thema globale Lieferketten wichtig ist, dass er in diesem Zusammenhang jedoch auch auf die großen Firmen vertraut. „Wenn etwas mit schlechten Arbeitsbedingungen oder Ähnlichem aufgedeckt wird, dann ist das ja schon eine Katastrophe für große Unternehmen!“
Wenn man zu den großen Spielzeugfirmen recherchiert, werden in jedem Fall ein paar Bestrebungen zur Verbesserung von Wertschöpfungsketten kommuniziert.
In der unternehmenseigenen Seite zu Nachhaltigkeit bei Ravensburg findet man eher Konzepte zu Regionalität und Klimafreundlichkeit – hier scheinen Rohstoffe sich auch sehr auf Holz zu konzentrieren und Produktion kann in Deutschland und Tschechien geleistet werden. Zu globalen Lieferketten heißt es: „Auch wenn die Ravensburger Gruppe nur einen geringen Anteil seiner Spielwaren in China fertigen lässt, sind wir einer der ersten deutschen Spielwarenhersteller, der seine wenigen Zulieferer in China nach dem ICTI-Auditprozess (International Council of Toy Industries) zertifizieren ließen. Zudem ist Ravensburger Mitglied bei amfori-BSCI. Beide Organisationen setzen sich mit ihren Zertifikaten dafür ein, dass Spielwaren in einer sicheren, fairen und menschenwürdigen Umgebung produziert werden. Ravensburger ist auch bei der Organisation „fair spielt“ angeschlossen und legt dort seine Produktionsstätten offen.“
Artikel zu Nachhaltigkeitsbestrebungen bei Lego häufen sich in den letzten Monaten – was läuft da, was können wir hoffen? In einem Artikel des enorm Magazins wird beschrieben, wie dieser große Spielzeughersteller auf Kundendruck seine Nachhaltigkeitsbestrebungen ankurbelt. Kann man hoffen? Lego künftig mit Recycling-Plastik oder Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen? Was läuft da in einem großen Forschungszentrum bei Lego – tragen die großen Hersteller zu Innovationen im Markt bei?
Es scheint sich Einiges zu bewegen im globalen Spielzeugmarkt. Dafür gibt es wohl viele Gründe. Das Konsument:innenbewusstsein zum Thema Nachhaltigkeit scheint auch in der Produktgruppe Spielzeug zu wachsen. In einem Artikel der Toy Association wird als Trend für 2021 beschrieben, dass immer mehr Familien auf ökologische Eigenschaften bei Spielzeugen achten – und nicht nur das: immer mehr Kinder interessieren sich für globale Themen und dieses Interesse ist bei immer jüngeren Altersgruppen zu finden! Außerdem werden Rohstoffe immer teurer und knapper – nicht zuletzt durch Lieferengpässe auch von Plastik und Spielzeugen als Folgeerscheinungen der Corona-Pandemie.
Was heißt das für einen Spielwarenladen wir Meder?
In unserem Interview mit Franz Steul haben wir gelernt, dass es für einen Einzelhändler als Bindeglied zwischen globalen Lieferketten und Konsument:innen auch spezifisch in der Produktgruppe Spielzeug eine Gradwanderung sein kann, die Nachfrage zu bedienen und gleichzeitig auf bestimmte soziale und ökologische Eigenschaften der Lieferketten der Produkte zu achten. In einer weiteren Recherche haben wir gelernt, dass sich aber auch das Bewusstsein der Nachfrageseite und das Angebot der Produktionsseite wandelt. Also kommt dem Einzelhandel in diesem Fadenkreuz eine Vermittlungsrolle zu.
Kann man als Einzelhändler:in mehr Druck ausüben? Kann man durch Kommunikation mit Kund:innen mehr Bewusstsein schaffen?
Der Unternehmer resümiert: „Was der Handel wirklich braucht, ist eine Zertifizierung über das CE-Kennzeichen hinaus – und zwar je nach Warengruppe (Plüsch, etc.). Welche Materialien dürfen verwendet werden? Welche Standards sind für alle Produzenten im Sinne der Nachhaltigkeit verpflichtend? Hier ist die Politik gefragt. Es braucht einheitliche und transparente Regeln, an die sich alle halten müssen.“
Eine konkrete Forderung, die wir in unserem Zukunftsworkshop in 2022 in der Tiefe behandeln werden.
Was haben wir gelernt?
- Spiel und Spaß bleiben wichtige Kriterien für Spielzeug. Gesundheitliche und pädagogische Kriterien sind schon länger immer weiter im Bewusstsein von Kund:innen gewachsen. Ökologische und soziale Kriterien bei Lieferketten von Spielzeug scheinen langsam größeren Stellenwert zu bekommen.
- Spielzeugwarenhändler stehen im Drehkreuz vieler Verhandlungen: Kinder werden von Werbung und sozialem Umfeld beeinflusst und wünschen sich von Eltern. Eltern möchten ihre Kinderwünsche erfüllen und haben dabei eigene Einschränkungen – wie beispielsweise finanzielle – aber auch eigene Vorstellungen und Wünsche – wie beispielsweise ein wachsendes Bewusstsein für globale ökologische und soziale Themen.
- Das Bewusstsein von Kindern für soziale und ökologische Themen globale wächst – auch bei jüngeren Kindern. What?! Was heißt das für Spielzeugwünsche?
- Auf Seite der Spielzeughersteller scheint sich Einiges zu bewegen – andererseits fehlen übergreifende gesetzliche Standards für Spielzeugwaren.
Als Soziologin mit einer Affinität für philosophische Fragestellungen sinniert sie gerne über die Rolle des Individuums im Universum, über Technik und Emotionen und über Natur und Kultur. Als berufstätige, zeitweilig alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und nach vielen Umzügen in In- und Ausland weiß sie aber auch, dass die großen Fragen jeden Tag aufs Neue im Kleinen und in sehr spezifischen Lebensumständen ausgehandelt werden.
Um einen Beitrag dazu zu leisten, die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele alltagstauglich zu machen und den Alltag zukunftsfähig zu machen, bearbeitet sie in Projekten gerne alltägliche und zugleich komplexe Themen, wie beispielsweise Ernährung. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden gewappnet sowie einer guten Dosis Kreativität und ihrer so sympathischen Bedachtheit versteht sie es, mit Schulungsteilnehmer:innen und Projektpartner:innen aus unterschiedlichen individuell-emotionalen, sozio-kulturellen, gesellschaftlich-politischen, rational-wirtschaftlichen oder pragmatisch-praktischen Perspektiven gemeinsame Ansätze und Ideen zu generieren.