Zwischen Hass und Hetze – Team Insight 2022-01
27. Januar 2022
Henrik Brauel
Neulich bei Lust auf besser Leben…
Um ehrlich zu sein, beschäftigt mich aktuell vor allem ein Thema: Gewalt im Netz. Jeden Tag lese ich neue Diffamierungen und beobachte die Verrohung um mich herum. Und deshalb geht es heute nicht um Umweltthemen oder die Rettung des Klimas. Sondern um unsere Demokratie.
An sich sind sich die meisten Demokraten und Demokratinnen hoffentlich einig: Gewalt darf und kann keine Lösung sein. Ein Konsens, der essentiell ist, um die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger einzuhalten.
Doch was schreibt dazu eigentlich das Gesetz? Die einzige Gewalt, die notwendig ist, um den Rechtstaat zu wahren, ist die der Exekutivgewalt, sofern sie dem Schutze seiner Beamten oder der Allgemeinheit dient. Ungerechtfertigte körperliche Gewalt steht nach §223 des 17. Strafgesetzbuches unter Strafe. Gewalt kann kein Mittel der politischen Auseinandersetzung in einem Rechtstaat sein! Diese Erkenntnis haken wir als Allgemeinwissen ab.
Radikalisierung von Meinungen
Die Realität sieht vielerorts anders aus. Deutschland scheint gespalten. Anfeindungen, Generalisierungen, Beleidigungen und Verschwörungstheorien sorgen für ein kaltes, unfreundliches bis feindliches Klima in Diskussionen oder einfachen Meinungsverschiedenheiten.
Wenn ich meine Runden durch das World Wide Web ziehe und mich auf „sozialen“ Medien rumtreibe, komme ich aus dem Kopfschütteln folglich nicht mehr raus. Die ganze Bandbreite von Meinungen, die zum Teil ohne Zusammenhang in Feeds neben- oder untereinander stehen, sind erschütternd. So kann es durchaus einmal vorkommen, dass unter einem „Ich finde Robert Habeck sexy #lol“-Tweet darüber sinniert wird, warum die Impfung eine von Bill Gates initiierte Nanobot Infizierung ist.
Und während das eine, eine schmeichelnde Meinung darstellt, ist das andere eine besonders pietätlose Verschwörungstheorie, deren reines Ausformulieren mich selbst an meinen Kognitiven Fähigkeiten zweifeln lässt.
Ich kann auch falsch liegen
Diese komische Mischung sorgt nicht nur für Themenkontraste, sondern zeigt auf, wie unterschiedlich Konversationen sein können. Verwenden wir doch mal den oben von mir beschriebenen Tweet. Unter einen „Ich finde Robert Habeck sexy“-Tweet würden im Durchschnitt eher witzelnde, zustimmende oder eben ablehnende Kommentare stehen. Währenddessen unter eher politischen Tweets eine hitzige Debatte entflammen würde, in der ein respektvoller Umgang plötzlich zur Fremdsprache wird.
Denn wenn man eine sachliche Diskussion führen will, muss einem bewusst sein, dass man womöglich falsch liegen kann. Jedoch nehmen viele Menschen ihre eigene Meinung zu ernst und verfallen so in eine Abwehrhaltung, wenn ihre „unfehlbare Meinung“ kritisiert wird. Sie fühlen sich persönlich angegriffen und werden dann selbst persönlich.
So kommt es oft vor, dass sachliche Diskussionen in Beleidigungen, Vorwürfen und Drohungen enden. Problematisch wird es allerdings vor allem dann, wenn sich die Aggressivität aus dem Internet auch in die Realität ausbreitet. Menschen, die auf Demonstrationen auf Journalist:innen, Polizist:innen und andere Bürgerinnen und Bürger losgehen, werden primär durch, nicht mit dem Internet radikalisiert.
Durch Facebook, Whatsapp und Telegramgruppen verbreiten die Anführenden dieser Bewegungen Fehlinformationen, schüren Angst und machen Panik. Sie erschaffen Wut auf etwas fiktives, das sie als echt verkaufen. Durch aus dem Zusammenhang gezogene Aussagen und falsche Gesetzestext-Interpretationen schaffen sie ein Klima der Wut und des Hasses. Sie erlügen sich mit Fremdenfeindlichkeit und/oder purer Schamlosigkeit eine Geschichte, die eine Gruppe von Menschen als das ultimative Böse hinstellt, und projizieren alles schlechte der Welt auf diese Gruppe.
Damit ihre Geschichten mehr Aufmerksamkeit bekommen, stellen sie sich meist selbst in die Opferrolle. Ja sie gehen sogar so weit, dass sie die Todesursache von verstorbenen zu ihren Gunsten verstellen. Es ist schwierig in so einem Fall seine Fassung zu wahren. Jedoch helfen keine Beleidigungen, keine Anfeindungen und kein „Canceln“. Leider bringt auch das Ignorieren nichts. Die Frage, wie wir mit solchen Leuten umgehen, ist zurecht vor allem am Anfang der Pandemie kontrovers diskutiert worden.
Denn auch wenn Aussagen wie: „Man sollte Schwurbler ignorieren“ oder „Man redet nicht mit Nazis“ erst einmal richtig wirken, sind sie in Anbetracht aller Gesichtspunkte eher unterkomplex. Denn dieser Argumentation geht die Meinung vor, dass Menschen die sich radikalisiert haben, ihr denken nicht wieder ändern und sich rehabilitieren können.
Lasst uns reden
Die Frage sollte also weniger sein, ob wir mit diesen Menschen reden, sondern wie. Denn klar ist, dass wir zwar die Menschen nicht ausschließen, jedoch ihre Meinungen und Ansichten nicht akzeptieren dürfen. Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungstheorien sind keine legetimen Meinungen in einem demokratischen Rechtstaat.
Wir müssen versuchen aufzuklären und versuchen zu überzeugen. Demokratie lebt aus Streit, Diskussionen, aus verschiedenen Meinungen und aus Kompromissbereitschaft. Sie besteht aus dem Willen, sein:e Gegenüber zu überzeugen und einen Kompromiss zu finden. Dass es keinen Kompromiss bei Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungstheorien geben kann, ist klar. Wenn wir allerdings den Willen, unser:e Gegenüber verstehen zu wollen verlieren, scheitert auch die Demokratie. Denn auch wenn es uns schwer fällt, das einzugestehen, auch Querdenker gehören zu unserer Gesellschaft.
Mein Fazit
Es gäbe noch so viel mehr zu schreiben: Zum Beispiel über die Gefahren und Bedrohungen, die Journalist:innen immer wieder erfahren müssen. Wie sie auf Demonstrationen offen bedroht und angegriffen werden. Ich möchte diesem Thema ein extra Blogbeitrag in der Zukunft widmen.
Das Thema ist größer und komplexer als es in einem Team Insight recht am Platz ist. Ich möchte zum Dialog aufrufen und eines klarstellen: Extremismus ist nie eine Lösung. Ausgrenzung allerdings auch nicht. Wir müssen als Gesellschaft Verschwörungstheorien und radikalem Gedankengut (egal welcher Motivation) entgegentreten und über Meinungen wieder sachlich diskutieren und reflektieren, anstatt uns fertig zu machen.
Euer Henrik
Hallo, ich bin Henrik. Ich mache zurzeit mein Jahrespraktikum bei Lust auf besser leben und kümmere mich primär um den Webguide, Newsletter und das Botschafter:innenprogramm. Dabei arbeite ich mich gerne in neue Themen ein und veröffentliche sie für Euch in Form von informativen Artikeln im Blog.