Wie sicher ist Atomkraft wirklich? Und wie nachhaltig ist Gas? – EU-Taxonomie (2/3)
4. März 2022
Henrik Brauel
In meinem letzten Teil der EU-Taxonomie Artikelreihe habe ich über die Nachhaltigkeit von Kernkraft recherchiert. Vor allem ging es mir dabei um den Klimawandel und die Umweltbelastung durch Atommüll. In diesem Teil wird es um die Risiken und Gefahren gehen, die von Kraftwerken ausgehen oder auch nicht.
Die dunkle Vergangenheit der Atomkraft
Fukushima und Tschernobyl, diese Namen sind sehr wahrscheinlich den meisten ein Begriff. Wir verbinden sie mit unfassbarem Leid und einer Katastrophe ohne ihresgleichen. In Tschernobyl kam es am 26. April 1986 in einem sowjetischen Kernkraftwerk zu einem Unfall während eines verspäteten Sicherheitstests. Die Folge: Funktionsausfall des Kühlsystems im Reaktorblock Vier. Durch menschliches und technisches Versagen kam es so zu einer Erhitzung des Reaktors und zu anschließenden Detonation. In Fukushima, gut 25 Jahre später, kam es durch das direkte Einwirken von einem Erdbeben und anschließendem Tsunami 2011 zum Versagen der externen Stromzufuhr des Atomkraftwerks. Auch hier entfiel die Kühlung der Reaktorblöcke. Das hatte einen Anstieg der Temperatur der Kühlflüssigkeit und der Reaktorblöcke zur Folge. Währenddessen die Kühlung von einigen Reaktorblöcken mit einem Dieselgenerator wieder aufgenommen werden konnte, konnte der Temperaturanstieg in drei weiteren Reaktoren nicht verhindert werden. Diese Umstände führten zur Überhitzung der Reaktorkerne und zu einer Kernschmelze.
Die tatsächlichen Todesopfer können bis heute nicht eindeutig bestimmt werden. Denn radioaktive Strahlung führt teilweise erst Jahre später zu Krankheiten wie Krebs. So ist es schwer zu bestimmen, wie viele Leute wirklich an den Folgen der Katastrophe gestorben sind. Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) rechnete 2005 mit bis zu 4000 Todesopfern durch die radioaktive Strahlung in Verbindung mit der Katastrophe in Tschernobyl. Laut Deutschlandfunk Nova gehen andere von mehreren zehn- bis hunderttausend Todesfällen aus. Das ist nicht zuletzt der Intransparenz der früheren Sowjetunion geschuldet, die gezielt nicht und/oder desinformiert hat. Bei der Katastrophe von Fukushima geht die Welt von ca. 18500 Todesopfern aus – im Zusammenhang mit dem Tsunami und der Atomkraftwerkkatastrophe.
Terror und Atomkraft
Deutsche Atomkraftwerke haben ein Problem. Laut einer amerikanischen Studie sind diese nur schlecht gegen Terrorangriffe geschützt. Angriffe von Flugzeugen oder Explosivgeschossen könnte kaum entgegengewirkt werden – und Atomkraftwerke sind potenzielles Ziel für Terrorismus aufgrund ihres Zerstörungspotenzials und der folgenden Radioaktivität. Atomkraftwerke müssten beim Bau also deutlich besser gegen potenzielle Bedrohungen geschützt werden. Ein ungesichertes Atomkraftwerk ist quasi wie eine Bombe mit radioaktiven Material frei Haus. Klar, dass das auf Kritik stößt.
Strahlenbelastung um Atomkraftwerke
Laut einer Studie des Zentrums für Klinische Studien Essen kann ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Krebsfälle und der Entfernung zu einem Kernkraftwerk vermutet werden. So steigt die Anzahl der an Krebs erkrankten Kinder unter fünf Jahren in der Nähe von Kernkraftwerken, je näher diese an der Anlage wohnen. So ist bei einer Entfernung von 0-5km der Anteil der an Krebs erkrankten Kinder bei 38-43%, währenddessen der Anteil bei Kindern mit 40–50km Entfernung bei etwa 3-10% liegt. Diese Zahlen sind ebenso erschreckend wie differenziert zu betrachten, da die Krebsursachen nicht immer eindeutig auf die Strahlung zurückgeführt werden können.
Kernkraftwerke sorgen für erhöhte Strahlungswerte in direkter Umgebung, die menschliche Zellen mutieren lassen kann, Fehlgeburten oder Krebs zur Folge haben kann.
Wie sicher sind Atomkraftwerke
Tschernobyl und Fukushima. Zwei Ortsnamen, die im Zusammenhang mit den größten Kernkraft-Katastrophen stehen. Eine unfassbare Vernichtung. Doch müssen wir im Fall der Wiederinbetriebnahme von Kernkraftanlagen mit einem deutschen Gau rechnen?
Auch hier ist die Einordnung kompliziert. Bisher gibt es zwei größere „Störungen“ die nach der INES Skala mit dem Wert 7 eingeordnet wurden. Sieben beschreibt einen „major accident“ also ein schwerer Unfall und ist die höchst mögliche Stufe für Katastrophen in Zusammenhang mit Kernkraftwerken (Tschernobyl, Fukushima). Die INES Skala wurde von der IAEA (International Atomic Energy Agency) festgelegt und wird in zwei grundlegende Kategorien eingeteilt. Die Stufen 1 bis 3 werden als kleinere Vorfälle mit keinen bis kaum Auswirkungen auf Menschen, Umwelt, Gebäude, Kontrollgräte eingeordnet. Vorfälle, die eine bedeutende Auswirkung haben, werden in Unfälle (von Stufe 4-7) eingestuft. In Deutschland gab es bis jetzt kein Vorkommnis über dem INES Score 4. Meist werden gemeldete Vorkommnisse eher mit 2 bewertet.
Jährlich sterben Schätzungen zufolge im Energiesektor deutlich mehr Menschen an den Folgen der Kohlekraft als an den folgen der Kernkraft. Jedoch wurden hier Fukushima und Tschernobyl nicht einberechnet. Atomkraft steht auch hier im Vergleich besser da.
Ist Kernkraft deswegen wirklich sicherer?
Den Statistiken folgend, könnten wir annehmen, dass Kernkraft das „Go To“ der Energiegewinnung ist – emissionsärmer und sicherer… Wirklich sicherer als andere konventionelle Energieträger?
Wahrscheinlich nicht. Wenn wir das Gesamtkonstrukt angucken, können wir die verheerenden Folgen eines potenziellen Gaus nicht kleinreden.
Städte und Wälder sind für Jahrzehnte kontaminiert. Menschen leiden unter den Langzeitfolgen. Mutierte Tiere, erhöhte Krebsrate unter Kindern und Fehlgeburten. Auch wenn das Risiko eines Gaus eher unwahrscheinlich ist, müssen wir uns fragen, ob wir dieses Ausmaß einer Katastrophe riskieren wollen?
Hinzu kommt, dass Kraftwerke immer älter und damit nicht sicherer werden. Atomkraftwerke sind zum Teil schon mehrere Jahrzehnte alt und weisen erhebliche Sicherheitsrisiken auf.
Ist Energie aus Gas nachhaltig?
Deutschland setzt bei der Bekämpfung des Klimawandels auf Gas als Brückentechnologie. Die Gerüchte, Deutschland sei der maßgebliche Antreiber gewesen, Gas als nachhaltig einzustufen, scheinen so nicht weit hergeholt. Allerdings sorgt Gas für erhebliche CO2-Emissionen. Neben Braun- und Steinkohle ist Erdgas mit 377g – 605g pro Kilowattstunde einer der emissionsreichsten Energieträger. Im Vergleich zu Braun- und Steinkohle scheint das zwar wenig, ist aber weit entfernt von Klimafreundlich. Wir wissen (seit dieser Woche), dass das 1,5 Grad Ziel bereits 2030 erreicht sein wird. Jedes Gramm CO2-Emissionen zählt also!
Hinzu kommt, dass Gas ein fossiler Rohstoff ist, also nicht unendlich zur Verfügung steht. Gaskraftwerke sollen zwar später auf Wasserstoff umstellbar sein, jedoch müssen wir uns fragen ob Gas wirklich eine Übergangslösung ist.
Gas macht uns abhängig von anderen Ländern. Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, jedoch sehen wir anhand des momentanen völkerrechtswidrigen Angriffkriegs Putins auf die Ukraine, dass die Abhängigkeit zu seinem Gas uns lange hat weggucken lassen. Die Alternativen sind oft wenig nachhaltig: Fracking-Gas aus den USA, das (um es nett zu sagen) wenig mit einer umweltfreundlichen Förderung zu tun hat.
Fracking ist in Deutschland nicht ohne Grund verboten. Durch den Einsatz von Chemikalien wird Grundwasser verschmutzt und unbrauchbar gemacht. Fracking erzeugt aber auch CO2-Emissionen. Eine Studie von 2011 beschreibt die Emissionen von Fracking-Gas im gesamten Lebenszyklus um 20% höher als das von konventioneller Kohle. Sofern wir auf Fracking-Gas zurückgreifen, können wir also von einer negativ Entwicklung sprechen.
Im nächsten und letzten Teil der Artikelserie folgt meine persönliche Einschätzung der EU-Taxonomie.
*Fett makiert = Link zu einer Quelle
Hallo, ich bin Henrik. Ich mache zurzeit mein Jahrespraktikum bei Lust auf besser leben und kümmere mich primär um den Webguide, Newsletter und das Botschafter:innenprogramm. Dabei arbeite ich mich gerne in neue Themen ein und veröffentliche sie für Euch in Form von informativen Artikeln im Blog.