Wertschätzung für das Unsichtbare – Team Insights 2021-14

VERÖFFENTLICHT

8. Juli 2021

ÜBER DEN AUTOR
Eva Howell
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Neulich bei der Lust auf besser Leben gGmbH … 

Wenn man etwas sehen möchte, dann muss man manchmal einen Blick hinter die Dinge werfen. In letzter Zeit bekomme ich immer mehr Gelegenheiten dazu, dies zu tun. Ein paar meiner Eindrücke möchte ich heute mal teilen.

Hinter den Medien …

Vor ein paar Wochen bekam ich als Urlaubsvertretung für Marlene eine neue, wenn auch nur temporäre Aufgabe: Für ein paar Wochen darf ich die Social Media Konten von Lust auf besser leben betreuen! Mit etwas Überheblichkeit startete ich in diesem Unterfangen und ich dachte mir: „Es kann doch nicht so schwer sein, ein paar Bildchen mit Text zu posten!“ In einem meiner ersten Einsätze in Präsenz rückte ich zum Presserundgang von Fashion im Kiez mit guter Laune und einem Selfie-Stick an. Ich malte mir lustige Reels und ansprechende Fotos aus. Doch mein Selfie-Stick funktionierte nicht, meine Reels muss ich noch schneiden, weil sie viel zu lang sind und eher Reportagen gleichen, und meine Fotos hätte ich mir sparen können, denn wir hatten die tolle (und vor allem professionelle) Fotografin Nadine Kopp von Koppiright Fotografie dabei – von ihr stammt auch das Foto von mir.

Und das Bespielen der verschiedenen Social Media Kanäle ist auch gar nicht so einfach: man muss den richtigen Bildausschnitt finden, den richtigen Filter wählen, zu einer angemessenen Zeit posten und man sollte darauf achten, die wichtigen Förderer und Partner:innen zu erwähnen und zu verlinken. Texte sollten ohne Tippfehler sein und die richtigen und wichtigsten Informationen enthalten – und das Ganze bitte noch kurz, knackig und ansprechend für die Leser:innen. Hinzu kommen noch all die technischen Kniffe, Apps und Design-Tools, die man erst mal lernen muss, zu bedienen.

Was ich dabei gelernt habe: Hinter den Inhalten der sozialen Medien – Inhalte, die oft sehr spontan aussehen und die man nicht mit Arbeit verbindet – stecken viele Überlegungen, Kompetenzen, Aufmerksamkeit für Details und technische Mittel. Also Hut ab an die lieben Kolleg:innen Ankathrin und Marlene an der Social Media Front und auch an Jürgen im Backend unseres Newsletters, der immer so schön und regelmäßig erscheint. Content ist Arbeit!

Dass wir als Betrachter:innen die Arbeit hinter den Sozialen Medien nicht sehen ist wahrscheinlich auch gut so. Wenn wir ein Theaterstück besuchen, möchten wir auch nicht an die vielen Proben, die Masken-, Kostüm- und Bühnenbildner:innen oder die Ton- und Lichttechniker denken, sondern uns der Geschichte und dem Erlebnis hingeben.

Doch manchmal ist es wichtig, zu verstehen und zu hinterfragen, was sich unserem Auge entzieht, um den wahren Wert von etwas zu erkennen. Das wird gerade in der Arbeit im Bereich Nachhaltigkeit sehr deutlich.

Bilanzen ziehen – wie viel kosten die Dinge wirklich?

Das Thema Klimawandel wurde in jüngster Zeit immer präsenter im Bewusstsein der Menschen und in öffentlichen Debatten. Die Fristen von wissenschaftlichen Prognosen und politischen Empfehlungen, bis wann wir Treibhausgase in den globalen Prozessen reduzieren sollten, damit die Folgen des Klimawandels nicht aus dem Ruder laufen, rücken immer näher. Aber nicht nur der Klimawandel ist ein dringendes Problem. Viele Ressourcen, die wir für Produkte und Prozesse benötigen – darunter auch Flächen, Wasser, seltene Erden und Metalle etc. – sind nicht unendlich verfügbar. Weil Menschen so zahlreich und einflussreich sind, wird die Konstitution der Erde maßgeblich durch unsere Ressourcennutzung geprägt. Und dabei geht es nicht nur um Nutzung oder Nicht-Nutzung, es geht oft um Verhältnisse und Gleichgewichte. Die Erde ist ein komplexes System, dessen Wechselwirkungen wir nur ansatzweise verstehen. Die Art, wie wir nutzen und wirtschaften, beeinflusst Prozesse auf Ebene von Insekten oder von Mikroorganismen. Expert:innen im Bereich Biodiversität verstehen deren Funktion und Relevanz in bestimmten Zusammenhängen unseres Ökosystems – doch alle Wirkweisen des Wunders Natur werden wir wahrscheinlich nie verstehen.

Wenn wir also Entscheidungen treffen möchten, nachhaltiger zu wirtschaften, das heißt mindestens so zu wirtschaften, dass wir die Möglichkeiten von zukünftigen Generationen, fernen Kulturen oder anderen Spezien nicht komplett vernichten, müssen wir hinter die Prozesse und Produkte in unseren Leben schauen.

Um zu wissen, wie viele Treibhausgase wir mit unseren Wirtschaftsweisen im gesamten Lebensweg von Produkten und Prozessen verursachen, gibt es immer bessere Bilanzierungstools. Auch wenn die Datenlage hinter diesen Tools noch nicht vollständig ist, da es einfach eine immense Aufgabe der Wissenschaft und Wirtschaft ist, die Verbräuche und Ausstöße aller Prozesse erst einmal zu erfassen, können wir uns einer Idee annähern, welche Art des Wirtschaftens klimafreundlicher ist als eine andere. Bei Lust auf besser leben führen wir in letzter Zeit verstärkt Klimabilanzen durch, beispielsweise für das AG-Kino Gilde Projekt ‚Kino: Natürlich‘. Dabei ist jede Bilanz ein Prozess, in den wir mit den verschiedenen Unternehmen – in diesem Fall Kinos – einsteigen. Wir tragen Daten zusammen, führen Berechnungen durch, vergleichen und bewerten. Doch vor allem kommen wir ins Gespräch und lernen voneinander.

Bei diesen Bilanzen wird deutlich: Die Bilanzen und Zahlen um das Thema Klima sind hilfreich und wichtig, um klimafreundlicher zu wirtschaften. Doch andere Themen, wie etwa Ressourcennutzung, Biodiversität etc., sind in diesen Zahlen der Klimabilanzen nicht abgebildet. Das ist in Ordnung und verständlich, solange man das versteht. Für mich sind Klimabilanzen sehr grobe Leitplanken, die wichtig sind, um nicht zu weit vom Weg mit dem Ziel der Klimafreundlichkeit abzuweichen.

Ich bin auch sehr hoffnungsvoll, dass es in Zukunft immer bessere Methoden und Grundlagen zur quantitativen und qualitativen Bewertung anderer Dimensionen von Nachhaltigkeit (z.B. Ressourcennutzung und Biodiversität) geben wird. Diese bestehen schon teilweise, sind aber noch nicht so zugänglich und zahlreich, wie im Bereich der Treibhausgasbilanzen. Über meine Arbeit ist mir aber auch sehr bewusst, dass es ein utopischer Gedanke ist, klare, numerische Vorgaben zu erarbeiten, die alle Dimensionen von Nachhaltigkeit abbilden. Meiner Meinung nach wird es also immer Dinge geben, die wir nicht verstehen und wissen. Aber ist das schlimm?

Wie bekommt man Wertschätzung für das Unsichtbare?

Ich finde, schon alleine die Zeit und Aufmerksamkeit aufzubringen, um mal zu überlegen, was hinter den Dingen stecken könnte, lohnt sich und steigert die Wertschätzung für die Dinge. Müssen wir es immer in Zahlen wissen? Wahrscheinlich nicht immer, wobei mir sehr viel wohler dabei ist, wenn sich Wissenschaftler:innen und Politiker:innen in den Entscheidungsgremien auf Zahlen und Fakten stützen. Auch in unserem Alltag sollten wir uns wahrscheinlich öfter mal sehr konkret damit beschäftigen, wie viel die Dinge, die wir nutzen, wirklich kosten: in Zeit, in Umweltleistungen, in Geld etc. – man braucht eben manchmal erst ein paar Fakten, um ein Gefühl dafür zu erlangen, wie man sensibel mit der Welt umgehen kann.

Wenn Ihr Interesse an ein paar Zahlen und Fakten über die wahren Kosten von Mode habt: Aktuell, bis zum 19. Juli 2021, könnt Ihr Euch im Rahmen der Frankfurter Fashion Week über die von uns mit organisierte Schaufensteraustellung Fashion im Kiez informieren. Rund um die Berger Straße und in der Stadt verteilt gibt es Informationsangebote rund um dieses Thema. Mehr Information hier im Blog oder auf unserer Instagram Seite.

In meinem nächsten Vorhaben darf ich nun weiter den Blick hinter die Dinge werfen: Im Projekt Hinter der Ladentheke – Geschichten aus dem Einzelhandel zu globalen Wertschöpfungsketten unterhalte ich mich Einzelhändler:innen zu Themen der ökologischen Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit und wie die Einzelhändler:innen mit Herausforderungen – allgemeine oder spezifisch für Ihre Branche – in globalen Lieferketten umgehen. Ich bin gespannt, was wir dabei über die Dinge hinter den Dingen lernen können!

Eure Eva

Eva Howell
Author: Eva Howell

Als Soziologin mit einer Affinität für philosophische Fragestellungen sinniert sie gerne über die Rolle des Individuums im Universum, über Technik und Emotionen und über Natur und Kultur. Als berufstätige, zeitweilig alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und nach vielen Umzügen in In- und Ausland weiß sie aber auch, dass die großen Fragen jeden Tag aufs Neue im Kleinen und in sehr spezifischen Lebensumständen ausgehandelt werden. Um einen Beitrag dazu zu leisten, die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele alltagstauglich zu machen und den Alltag zukunftsfähig zu machen, bearbeitet sie in Projekten gerne alltägliche und zugleich komplexe Themen, wie beispielsweise Ernährung. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden gewappnet sowie einer guten Dosis Kreativität und ihrer so sympathischen Bedachtheit versteht sie es, mit Schulungsteilnehmer:innen und Projektpartner:innen aus unterschiedlichen individuell-emotionalen, sozio-kulturellen, gesellschaftlich-politischen, rational-wirtschaftlichen oder pragmatisch-praktischen Perspektiven gemeinsame Ansätze und Ideen zu generieren.

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Als Soziologin mit einer Affinität für philosophische Fragestellungen sinniert sie gerne über die Rolle des Individuums im Universum, über Technik und Emotionen und über Natur und Kultur. Als berufstätige, zeitweilig alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und nach vielen Umzügen in In- und Ausland weiß sie aber auch, dass die großen Fragen jeden Tag aufs Neue im Kleinen und in sehr spezifischen Lebensumständen ausgehandelt werden. Um einen Beitrag dazu zu leisten, die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele alltagstauglich zu machen und den Alltag zukunftsfähig zu machen, bearbeitet sie in Projekten gerne alltägliche und zugleich komplexe Themen, wie beispielsweise Ernährung. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden gewappnet sowie einer guten Dosis Kreativität und ihrer so sympathischen Bedachtheit versteht sie es, mit Schulungsteilnehmer:innen und Projektpartner:innen aus unterschiedlichen individuell-emotionalen, sozio-kulturellen, gesellschaftlich-politischen, rational-wirtschaftlichen oder pragmatisch-praktischen Perspektiven gemeinsame Ansätze und Ideen zu generieren.