Sportartikel: Über Kompetenzen und Kunststoffeinsatz in der Produktion

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22. Dezember 2021

ÜBER DEN AUTOR
Eva Howell
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Für unsere nächste Geschichte in der Blog-Reihe „Hinter der Ladentheke“ beschäftigten wir uns mit globalen Lieferketten von Sportartikeln. Dafür unterhielten wir uns mit Jost Wiebelhaus, Inhaber des „Frankfurter Laufshops“ nahe der Konstablerwache (Große Friedberger Str.) in Frankfurt. Als Spezialist für Laufen, Walking und Triathlon führt dieses Geschäft ein großes Sortiment an Sportschuhen und Sportbekleidung – dieses Jahr feierten sie ihr 20. Jubiläum. Außerdem unterhielten wir uns mit Elen Mary Machado von „Tarahumara Fans – Running for the Planet“, einer Laufgruppe in Frankfurt, die sich für Nachhaltigkeit in Sport und Lebensstil einsetzt und sich dabei auch in sozialen Projekten engagiert.

In unserer Beschäftigung mit dem Thema und in den Interviews traten besonders zwei Themen hervor: Kompetenzen und Kunststoff.

Kompetenzen

Die Produktion von Sportbekleidung – wie von vielen Produkten – wurde in den letzten vier Jahrzehnten immer mehr nach Asien und in andere Länder des globalen Südens ausgelagert. Skandale über prekäre Arbeitsbedingungen und negative Auswirkungen auf die Umwelt traten in diesem Zusammenhang immer wieder in die Öffentlichkeit. Unter anderem deshalb wird von Kund:innen und Sportartikelanbietern in Deutschland auch immer öfter der Wunsch geäußert, Sportartikel aus Produktionsstätten in Deutschland oder Europa beziehen oder anbieten zu können. Dies ist jedoch gar nicht so einfach – nicht nur aus Gründen der Wirtschaftlichkeit. Mittlerweile befindet sich nämlich einfach viel Know-How und Infrastruktur für Produktion vor allem in Asien – weshalb wir auf Kooperationen oft einfach angewiesen sind.

Kunststoff

Sportbekleidung hat hohe Anforderungen – sie muss leicht, atmungsaktiv, strapazierfähig und pflegeleicht sein. Sportschuhe müssen ebenfalls leicht sein und eine Schonung von Gelenken und Knochen beim Laufen, Springen und Abfedern gewährleisten. Der Einsatz von Kunststofffasern in Sportbekleidungsartikeln ist für die Erfüllung dieser Eigenschaften kaum wegzudenken. Es gibt ein Plädoyer für die Vermeidung von Kunststofffasern. Einige Naturfasern, wie Merinowolle oder Seide, sind für die Atmungsaktivität und den Tragekomfort von Sportbekleidung brauchbar. Andere Naturfasern, wie Baumwolle oder Leinen, können für manche Sportarten genutzt werden, doch gerade im Leistungssport und beim Einsatz für lange Laufstrecken, können sie in Funktionalität nicht mithalten – im Marathonlauf treten beispielsweise wunde Brustwarzen auf Grund der Reibung auf. Wasserabweisende Funktionskleidung kann selten ohne den Einsatz von Kunststoffen gefertigt werden. Im Bereich der Sportschuhe ist kaum ein Material so federnd und dämmend wie Kunststoff. Die Nachfrage nach Funktionskleidung mit Kunststofffasern in diesem Bereich bleibt also relevant.

Wie unsere Interviewpartner:innen mit diesen zwei Themen umgehen, möchten wir Euch folgend vorstellen.

Frankfurter Laufshop

Jost Wiebelhaus ist sehr bemüht, sein Sortiment vor dem Hintergrund sozialer und ökologischer Themen umzugestalten. Auf meine Frage, seit wann er sich mit diesen Themen auseinandersetze, erwidert er: „Menschen, wie ich, welche Sport an der frischen Luft betreiben, haben eine gewisse Naturverbundenheit. Seit etwa vier bis fünf Jahren ist jedoch mein Bewusstsein dafür gestiegen, dass wir auch in unserer Ausstattung mehr darauf achten sollten, die Umwelt zu entlasten.“

Neben generell Sportbekleidung, sind es vor allem Sportschuhe, die im Frankfurter Laufshop angeboten werden. Als Einzelhändler wägt er die Nachfrage seiner Kund:innen mit dem verfügbaren Angebot aus. Viele seiner Kund:innen fragen nach Sportschuhen der großen Sportmarken: Nike, Asics, Adidas etc.. Da er seinen Kund:innen diese Marken nicht vorenthalten möchte, müsse er sich darauf verlassen, dass zunehmender, öffentlicher Druck und politische Rahmengesetzgebungen die Entwicklung innerhalb dieser Unternehmen in die richtige Richtung steuern werden. Es seien zwar Skandale in der Vergangenheit in der Presse zum Vorschein gekommen, doch beobachte er mindestens seit einigen Jahren auch bei diesen großen Anbietern Bestrebungen für mehr Transparenz und Verantwortung in Lieferketten sowie Forschung zu umweltschonenderen Materialien.

Sein besonderes Engagement als Händler zeigt sich jedoch vor allem darin, dass er stets nach Alternativen sucht, welche mit neuartigen, umweltschonenden Verfahren produzieren oder Produktionsbedingungen in den Fabriken nachhaltiger gestalten. Alternativen und Innovationen haben immer das Potenzial, den gesamten Markt in eine bessere Richtung zu treiben.

So bietet er die in Deutschland produzierten Laufschuhe der Marke Lunge an. Als eine der sehr wenigen Sportschuh-Marken, die in Deutschland produziert, bauten die Brüder Lunge eine eigene Schuhfertigung in Mecklenburg-Vorpommern auf. In einem Video auf der Homepage dieser Seite erklärt einer der Brüder, Lars Lunge, wie ihm als Läufer vor allem die technischen Eigenschaften des Schuhs wichtig seien und diese das Fundament der Unternehmensphilosophie bilden. Um einen hochwertigen Schuh in Deutschland zu einem erschwinglichen Preis überhaupt produzieren zu können, wird Funktionalität über Form gestellt. „Design ist wichtig, aber Design ist irrsinnig teuer. Design ist im Grunde genommen bei unserem Produkt der ganz große Luxus. Und wir haben gesagt: Im Endeffekt starten wir mit einem hässlichen Schuh.“, erklärt Lars Lunge. Persönlich finde ich die Schuhe eigentlich ganz schick.

Eine weitere Marke, welche im Frankfurter Laufshop geführt wird, ist die Laufschuh-Marke True Motion. Auf der Webseite heißt es: „Laufschuhe technisch umzusetzen erfordert viel Erfahrung und bautechnisches, handwerkliches und designtechnisches Know-how. Unsere Laufschuhe entsprechen wissenschaftlich und technisch dem neuesten Stand und sind funktionell und innovativ: Laufschuh-Technologie engineered in Germany.“ Was heißt jedoch „Engineered in Germany“? Ein Artikel über True Motion im Achilles Running Online Magazin beschreibt, dass es zwar der größte Wunsch des Inhabers Andre Kriwet gewesen sei, die Produktion in Deutschland durchzuführen, dass dies aber nicht möglich sei. „Zwar kommen die Maschinen für die Produktion aus Deutschland, aber das Know-how für die Zusammensetzung der Schuhe sieht er hier nicht. Sondern dann doch eher in Asien. So kann sein Schuh nicht das Label „Made in Germany“ tragen, aber „Engineered in Germany“.“

An den Beispielen dieser beiden Schuhmarken wird deutlich, wie selten es ist, dass Sportschuhe überhaupt in Deutschland produziert werden können.

In Bezug auf Materialien schickte mir Jost Wiebelhaus einen Artikel über ein neuartiges Verfahren der mittlerweile sehr bekannten Laufschuh-Marke ON – der Frankfurter Laufshop war einer der ersten Händler in Deutschland, welcher diese Marke führte. In Kooperation mit zwei Unternehmen, die im Bereich Biochemie und Kunststoffentwicklung tätig sind – Lanzatech und Borealis – wird derzeit ein Verfahren entwickelt, bei dem CO2-Emissionen aus der Industrie aufgefangen werden, bevor sie in die Atmosphäre gelangen. Daraus wird ein Schaumstoff entwickelt, der für die Zwischensohlen von Schuhen dienen kann. Jost erklärt mir: „Andere Komponenten von Schuhen können schon seit längerem mit alternativen Materialien gefertigt werden, doch ist es vor allem die Zwischensohle, welche abfedernde Eigenschaften besitzen muss.“

Um einen Beitrag zur Schonung der Umwelt beizutragen, hat der Frankfurter Laufshop außerdem eine Möglichkeit zum Recyclen von Laufschuhen geschaffen. Im Laden können alte Laufschuhe abgegeben werden und es wurde eine Firma ausfindig gemacht, die diese recyclen können. Hauptsächlich werden daraus Sportplatzbeläge, Sportplatz- und Kunstrasenunterzüge sowie Reithalleneinstreu erzeugt. Die Kunden nehmen dieses Angebot sehr gut an und bringen zahlreiche alte abgelaufene Laufschuhe zum recyceln vorbei, berichtet Jost. Er freut sich sehr darüber – hier ein kleines Video zu diesem Angebot.

Tarahumara Fans – Running for the Planet

Auch Elen von Tarahumara Fans – inspiriert von den legendären Tarahumara Indianern aus Mexico (Barfuß-Langstrecken-Läufer) auch als die „Barfußläufer“ bekannt – beschäftigt sich bereits seit einigen Jahren mit den Themen Kompetenzen und Kunststoffeinsatz in der Produktion von Sportbekleidung. Tarahumara Fans sind zwar keine Einzelhändler, jedoch besorgen sie T-Shirts für ihre Laufgruppe, welche die Läufer für 30€ erwerben können. Auch andere Laufgruppen in Frankfurt, wie die „Biorunner“, tragen Shirts aus der gleichen Quelle. Das Geld fließt in die gemeinnützigen Zwecke des Vereins ein. Weil der Grundgedanke von Tarahumara Fans Nachhaltigkeit und Gesundheit ist, war es für Elen sehr schwierig zu akzeptieren, dass die dabei getragene Sportbekleidung mit negativen Umweltwirkungen einhergehen.

Nach viel Recherche, Überlegungen, Abwägungen und Gedanken haben sich Elen und Team für ein T-Shirt aus dem Stoff Amni Soul Eco des Herstellers Solvay entschieden. Dieser Stoff mit der Kunststoffkomponente Polyamid 6.6 basiert zwar auf einer Erdölbasis, soll jedoch kompostierfähig sein. Nach fünf Jahren könnte das T-Shirt sich vollkommen auflösen. Tatsächlich ist es so, dass die Kompostierfähigkeit mancher Kunststoffe – sowohl solcher aus nachwachsenden Rohstoffen als auch solcher auf Erdölbasis – möglich ist. „Als biologisch abbaubar wird ein Kunststoff bezeichnet, sofern er durch Mikroorganismen unter Sauerstoffzufuhr in Kohlenstoffdioxid, Wasser, mineralische Salze und Biomasse bzw. ohne Sauerstoffzufuhr in Kohlenstoffdioxid, Methan, mineralische Salze und Biomasse umgewandelt werden kann.“ (UBA 2018)

Das Problem: Es fehlt an passenden Kompostieranlagen in unserer derzeitigen Abfallwirtschaft. Die Kompostierung solcher Stoffe kann nämlich nicht auf einem dem im Garten ähnlichen Komposthaufen geschehen, sondern muss mit einem speziellem industriellen Kompostierverfahren aufbereitet werden. In einer Veröffentlichung des Umweltbundesamts (2018) wird beschrieben, welche zwei unterschiedliche Verfahren dabei möglich sind.

Mit Vorsortierung – Störstoffabtrennung, Siebung, Windsichtung, manuelle Sortierung:

„Bislang wird keine Technik verwendet, welche biologisch abbaubare Kunststoffe von konventionellen Kunststoffen unterscheidet (Technisch möglich, aber teuer, aufwendig, Effizienz fraglich). Folge: Meist Aussortierung von biologisch abbaubaren zusammen mit konventionellen Kunststoffen und anderen Störstoffen zur thermischen Verwertung (Verschmutzungsgrad für hochwertiges Recycling zu groß) oder in einzelnen Fällen Wiedereingliederung in nächsten Kompostierzyklus.“ (UBA 2018)

Mit Nachsortierung – Störstoffabtrennung und Siebung des fertigen Komposts:

Falls keine Vorsortierung stattgefunden hat und biologisch abbaubare Kunststoffe mitkompostiert wurden, können mögliche Rückstände hier aussortiert werden.
Rückstände werden entweder thermisch verwertet (Verschmutzungsgrad für hochwertiges Recycling zu groß) oder in einzelnen Fällen den nächsten Kompostierzyklus zugeführt.“ (UBA 2018)

Diese Möglichkeiten zur industriellen Kompostierung sind in Deutschland einfach noch nicht ausreichend vorhanden und mit allen Möglichkeiten der Mülltrennung, Abholung und Kompostierfähigkeiten in der deutschen Abfallwirtschaft etabliert. Meist landen diese Stoffe im regulären Müll oder in der gelben Tonne und werden einfach verbrannt. Tarahumara Fans hofft stark auf weitere Entwicklungen in der Abfallbranche.

Weiter hat sich Elen damit beschäftigt, wo die T-Shirts als Endprodukt genäht, gefärbt und bedruckt werden können. Unter anderem weil sie selbst aus Brasilien stammt und dort auch oft zu Besuch ist, hat sie eine Firma in Brasilien ausfindig machen und diese auch selbst besuchen können. Was sie sah, hat sie kritisch betrachtet und dabei ein paar Eigenschaften positiv bewerten können: Die Firma hat tolle Mitarbeiter und keine Skandale zu sozialen Themen sind bekannt. Eine Herausforderung ist jedoch die Färbung der T-Shirts – leider gab es dafür keine Farbe mit nachweislich nachhaltigen Eigenschaften. Das Wasser wird in der Firma aufbereitet und gelangt von dort in die Natur. Sie hat sich in der Umgebung der Firma jedoch umgeschaut – ein Kräutergarten, eine Schildkröte…..Leben. Welche Auswirkungen der Färbprozess der T-Shirts auf die Umgebung hat, kann sie ohne eine wissenschaftliche Untersuchung nicht beurteilen, doch hatte sie auf Basis des Gesehenen ein mäßig gutes Gefühl.

Am Beispiel von Elens Bestrebungen wird deutlich: Eine Beschäftigung mit der Herkunft von Produkten, wie Sportartikeln, ist wichtig und lehrreich. Man stößt auf viele interessante Themen und Ansatzmöglichkeiten. Im Gesamten herrschen jedoch noch viele Unsicherheiten und Herausforderungen, die als einzelne Person oder Organisation nicht wirklich schnell gelöst werden können. Am Ende bleibt noch der persönlich Einsatz: Elen bringt die meisten der T-Shirts selbst von ihren Reisen zu ihren Eltern mit – nur in Ausnahmefällen werden weitere bestellt und mit der Post verschickt.

Außerdem plädiert Elen dafür, dass jeder Einzelne sehr genau überlegen muss, wie man Sportkleidung nutzt – am besten so lange wie möglich. Da es 5 Jahre dauert, bis die T-Shirts komplett kompostiert sind, schlägt Elen den Läufern von Tarahumara Fans vor, die T-Shirts auch mindestens 5 Jahre zu tragen. Der Grundsatz des Vereins: „Umweltsportler sein bedeutet, reduzieren und wiederverwenden.“

 

 

Eva Howell
Author: Eva Howell

Als Soziologin mit einer Affinität für philosophische Fragestellungen sinniert sie gerne über die Rolle des Individuums im Universum, über Technik und Emotionen und über Natur und Kultur. Als berufstätige, zeitweilig alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und nach vielen Umzügen in In- und Ausland weiß sie aber auch, dass die großen Fragen jeden Tag aufs Neue im Kleinen und in sehr spezifischen Lebensumständen ausgehandelt werden. Um einen Beitrag dazu zu leisten, die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele alltagstauglich zu machen und den Alltag zukunftsfähig zu machen, bearbeitet sie in Projekten gerne alltägliche und zugleich komplexe Themen, wie beispielsweise Ernährung. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden gewappnet sowie einer guten Dosis Kreativität und ihrer so sympathischen Bedachtheit versteht sie es, mit Schulungsteilnehmer:innen und Projektpartner:innen aus unterschiedlichen individuell-emotionalen, sozio-kulturellen, gesellschaftlich-politischen, rational-wirtschaftlichen oder pragmatisch-praktischen Perspektiven gemeinsame Ansätze und Ideen zu generieren.

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Eva Howell
Author: Eva Howell

Als Soziologin mit einer Affinität für philosophische Fragestellungen sinniert sie gerne über die Rolle des Individuums im Universum, über Technik und Emotionen und über Natur und Kultur. Als berufstätige, zeitweilig alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und nach vielen Umzügen in In- und Ausland weiß sie aber auch, dass die großen Fragen jeden Tag aufs Neue im Kleinen und in sehr spezifischen Lebensumständen ausgehandelt werden. Um einen Beitrag dazu zu leisten, die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele alltagstauglich zu machen und den Alltag zukunftsfähig zu machen, bearbeitet sie in Projekten gerne alltägliche und zugleich komplexe Themen, wie beispielsweise Ernährung. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden gewappnet sowie einer guten Dosis Kreativität und ihrer so sympathischen Bedachtheit versteht sie es, mit Schulungsteilnehmer:innen und Projektpartner:innen aus unterschiedlichen individuell-emotionalen, sozio-kulturellen, gesellschaftlich-politischen, rational-wirtschaftlichen oder pragmatisch-praktischen Perspektiven gemeinsame Ansätze und Ideen zu generieren.