Osterferien zuhause und Strukturumbrüche im Reisemarkt durch Corona. Team Insights 6
16. April 2020
Svenja Flach
Neulich bei der Lust auf besser Leben gGmbH …
Es ist Montag. Ostermontag. Schulferien. Reisezeit. Eigentlich sollte ich gerade in Kapstadt sein. Seit vielen Monaten hatten wir unsere Ferien geplant – 2 Erwachsene, 3 Kinder bzw. Jugendliche. Auf unserem Programm stand neben dem Besuch von Freunden und dem Two Oceans Ultra-Marathon (für mich nur als Begleiterin – unsere Reisegruppe sollte nur einen Verrückten aufweisen) auch das Eintauchen in die Kultur und Geschichte Südafrikas. Mein Sohn hatte gerade im März eine Schulpräsentation zu Nelson Mandela erarbeitet und sich Gedanken gemacht, was wir in Deutschland aus Südafrikas Umgang mit Apartheid und Mandelas Politik der Versöhnung lernen können. Den Inhalt für eine solche Präsentation im Internet und in Büchern zu recherchieren… wird immer abstrakt und theoretisch bleiben. Aber jetzt sind wir nicht in Kapstadt, um Feldforschung zu betreiben, sondern aufgrund von Corona in Frankfurt (auch wenn es sich durch den Klimawandel temperaturtechnisch anfühlt als wären wir in den Tropen). Und natürlich machen wir uns Gedanken: Werden wir nach Corona je wieder reisen wie vorher? Was wird sich ändern? Wie wollen wir uns selbst verändern?
Ich selbst bin in Venezuela geboren und in Mexico und Indonesien aufgewachsen. Mein Vater lebt nach wie vor am anderen Ende der Welt und persönlich ist es mir enorm wichtig, dass meine Kinder nicht nur intellektuell verstehen, dass wir mit der Welt verbunden sind, sondern dass sie diese Verbundenheit auch fühlen und spüren. Dass sie sehen, dass es Unterschiede gibt, aber auch wichtige Gemeinsamkeiten. Dass sie die Realitäten in anderen Ländern kennen – soweit das auf Reisen möglich ist. Dass sie Verantwortung verspüren für die Gegenwart und Zukunft von Menschen in anderen Ländern, sei es, weil sie eine persönliche Beziehung zu ihnen haben, oder weil sie begreifen, dass wir über Lieferketten über den Alltag von Millionen von Menschen entscheiden. Dass sie sich als Weltbürger fühlen. Und dafür ist das Reisen wichtig.
In der Vergangenheit stand ich dabei schon öfter im Konflikt zwischen den ökologischen Auswirkungen, die unsere Reisen haben, und dem kulturellen und persönlichen Mehrwert, den sie bieten. Bei Kundenworkshops, bei denen wir anfangs manchmal den persönlichen Fußabdruck berechnen lassen, wird mir immer schmerzhaft bewusst, dass meine Flugreisen ökologisch gesehen all meine Alltagsbemühungen für Nachhaltigkeit zunichte machen. Und immer wieder komme ich zu dem Schluss, dass es dennoch Reisen gibt, auf die ich nicht verzichten möchte. Mir bleibt dann nur die Option, die Reise so wenig schädlich zu gestalten, wie es nur geht. Ich weiß, dass es weltweit Unterkünfte jeder Preisklasse gibt, die auf Nachhaltigkeit Wert legen und dass es auch auf Reisen möglich ist, auf Plastik zu verzichten, wenn man ordentlich plant. Und zu CO2-Kompensation habe ich eine Hassliebe aufgebaut. Ist es moderner Ablasshandel? Oder ist es die einzig verantwortliche Art zu reisen, bis Flugpreise branchenübergreifend auch ökologische Auswirkungen berücksichtigen?
Corona zwingt mich nun erneut, mein grundsätzliches Reiseverhalten auf den Prüfstein zu stellen
Weltweit werden Fluglinien und Reiseanbieter zur Vollbremsung gezwungen. Ich lese in Berichten, dass in den nächsten Monaten zwei gegenläufige Trends erwartet werden: Manche können es kaum erwarten, nach der Abstinenz wieder ihr Fernweh zu stillen oder abgesagte Urlaubsreisen anzutreten, während andere – vor allem Risikogruppen – für längere Zeit alle Reisepläne ad acta legen.
Zu welcher Gruppe gehöre ich? Wahrscheinlich wie so oft zu beiden. Noch konsequenter nehme ich mir vor, vor allem beruflich auch in Zukunft mehr auf digitale Kommunikation zu setzen, denn wir merken gerade, dass Dinge möglich sind, die wir nie für möglich gehalten hätten. Produktive Telefonkonferenz mit 25 Leuten? Blockseminar an der Uni digital statt im Unigebäude? Verblüffenderweise gar kein Thema, wenn alle an einem Strang ziehen.
Aber es gibt eben trotzdem weiterhin Reisen, auf die ich auch nach Corona nicht verzichten möchte. Ja, ich möchte meinen Kindern die Wassermessstation in Venezuela zeigen, wo ich als Kind schon war (s. Foto). Oder das Lebensgefühl von dolce vita in der Toskana genießen. Um das dann aber auch wirklich genießen zu können, werde ich mich noch intensiver mit der Frage beschäftigen, wie ich meine Reisen nachhaltig gestalten kann. Und vielleicht hilft der Strukturumbruch durch Corona ja sogar dabei, nachhaltige Angebote zu stärken und jene vom Markt zu eliminieren, deren Geschäftsmodell bisher zu Lasten der Umwelt und Gesellschaft gingen.
Eure Alex
Hi, ich bin Svenja. Ich mache zurzeit mein FÖJ bei Lust auf besser leben und kümmere mich um die Veröffentlichung unserer Events und unseres Blogs sowie den Newsletter. Des Weiteren bin ich für unseren Instagram- und Facebook-Account zuständig und unterstütze das Team bei einigen Projekten.