Interview mit Hartmud Studio über regional gefertigte Tassen
2. März 2019
Marlene Haas
„Den besten Ton für unser handgemachtes Geschirr haben wir in Deutschland – wir nennen ihn auch weißes Gold!“ – Ein Gespräch mit Jérôme Alsoufi von der Frankfurter Töpferei Hartmud Studio über lokales Handwerk, Essig und Wegwerftontassen
Wir haben nachfragt. Jérôme und Isa vom Frankfurter Kunstkollektiv Hartmud Studio haben sich auf handgefertigtes Keramikgeschirr spezialisiert und helfen uns, die Wege unserer Kaffeetasse zu verfolgen. Ich frage Jérôme, ob es sein kann, dass meine alte Unitasse aus regionalem Ton hergestellt ist. „Ich befürchte nein – aber lass uns von vorne anfangen, wir werden es herausfinden.“
Ich frage ihn zunächst, wo er für seine Manufaktur den Ton herbekommt. „Wir orientieren uns gerne an traditionellen Wegen. In Drittweltländern und früher auch bei uns auf dem Dorf funktionierte es doch schon immer so, dass der Handwerker sich die Rohstoffe aus umliegenden Dörfern holt und direkt produziert und vertreibt. Wir sind auch lokale ‚Handwerker‘ und unser Dorf ist der Westerwald. Wir waren in Töpfereien in Skandinavien und an anderen Orten der Welt und haben dort auch Westerwälder Ton gesehen – da haben wir von den Transportwegen her Glück. Im vorderen Westerwald befinden sich die größten und hochwertigsten Tonlagerstätten Europas!“ Das ist verrückt, wenn man bedenkt, dass dieser hochwertige Ton in der Natur anscheinend vergleichsweise selten vorkommt. Deshalb wird er auch „weißes Gold“ genannt.
Regionaler Ton als endliche Ressource und Tontassen als Einweg von früher
Ich merke, dass ich keine Ahnung von Ton habe. „Gibt es denn im Westerwald unendlich viel Ton?“ frage ich. „Auf keinen Fall.“, erklärt Jérôme. „Der Ton bildet sich in tausenden von Jahren unter besonderen Bedingungen, das ist ein endlicher Rohstoff. In 80 Jahren könnte das Abbaugebiet im Westerwald komplett erschöpft sein. Deshalb sollten wir behutsam mit unseren Keramikprodukten aus dem Westerwald umgehen, wenn wir nicht in Zukunft den Ton von irgendwo auf der Erde zu uns transportieren wollen.“
Jerome erklärt mir, dass dieser Ton so besonders ist, weil er sehr rein und gefiltert ist, er wird gut nach bester deutscher Handwerkskunst aufbereitet und deshalb kann man ihn sehr gut brennen. Und je höher man eine Keramik brennen kann, desto robuster wird sie. „Richtung Süden gibt es diese Hochbrandtöne nicht mehr.“, erzählt Jérôme. „Das spiegelt sich auch in deren Kulturen wieder – Terracotta zum Beispiel reißt schnell. Hat aber auch seinen Charme. In Indien wird der Tee aus niedriggebrannten Tontassen getrunken – sogar beim Teetrinken im Zug benutzte man früher diese Tassen als Einwegtassen und schmiss sie einfach aus dem Fenster, weil sie automatisch wieder zu Erde wurden. Heute sind das leider keine Tontassen mehr, sondern Plastikbecher. Der Müll, der dadurch entsteht… ganz anderes Thema!“
Ich staune und frage weiter: „Und wie kann ich erfahren, ob meine Unitasse mit hoher oder niedriger Temperatur und mit dichtem oder porösem Ton hergestellt wurde?“ frage ich ihn.
Hochgebrannter Westerwälder Ton ist hochwertig – mit Essig zu testen
„Klassischerweise wird niedrigwertiger Ton niedrig gebrannt und mit Glasur lediglich verklebt. Diese Glasur wird durch Kaffee oder andere Stoffe mit den Jahren oft ausgeschwemmt. Bei der sogenannten ‚Lebensmittelechtheit‘ wird nur geprüft, ob Blei drin ist. Was aus der Glasur sonst noch rausgeschwemmt wird, ist schwierig zu messen. Ab einer bestimmten Brenntemperatur, ab ca. 1230 Grad, gibt es aber einen Prozess namens Versinterung, dabei verbackt die Glasur mit der darunterliegenden Masse und da kann nichts mehr ausgeschwemmt werden.“ Er rät mir, meine Tasse ein paar Tage lang mit Essig stehenzulassen und zu gucken, ob sich etwas aus der Glasur löst. Wenn sich Schlieren bilden und die Glasur ausgeschwemmt wird, dann ist es wahrscheinlich eine Tasse, die mit niedriger Temperatur gebrannt wurde – und ergo vermutlich nicht mit Westerwälder Ton und in Deutschland handgefertigt.
„Crafty“ aus China?
Nun gut. Meine Tasse ist also wahrscheinlich industriell in Asien gefertigt, bei niedriger Temperatur gebrannt und mit Glasur verklebt. „Aber könnte ich mir mit niedrigem Einkommen eine in Frankfurt gefertigte Tasse mit Westerwälder Ton überhaupt leisten?“ frage ich Jérôme. „Naja“, sagt er, „wenn du jetzt nicht dringend eine neue Tasse benötigst, weil deine alte kaputt gegangen ist, dann ist es immer erstmal schonender für Umwelt und Geldbeutel, wenn du deine alte Tasse weiterverwendest. Aber wenn du dir wirklich ein neues Geschirr kaufen möchtest, dann komm gerne zu einem von unseren Werksverkäufen. Natürlich reduziert in Massenproduktion industriell gefertigte Keramik die Kosten. Aber oft bezahlst du trotzdem das gleiche wie bei uns, denn der Wert steckt bei vielen industriellen Produkten in der Marke, die den Preis hochtreibt. Die Tassen werden dann zum gleichen Preis verkauft, nur die Marge ist für das Unternehmen ganz anders. Viele Firmen produzieren in China zu schlechter Qualität, machen auf retro und malen industriell den Eierschaleneffekt vom Handwerk nach. ‚Crafty‘ ist halt in.“ Ich hake nach „Also ist deine Tasse wahrscheinlich genauso teuer wie meine Tasse?“ „Es gibt natürlich auch billiges Geschirr, da muss man nur zu den großen Ketten gehen, die den günstigen Preis weitergeben und durch die Massenproduktion in Asien trotzdem noch gut verdienen. Aber diese „Geiz ist geil“-Kunden wird es immer geben und die werden auch nie unsere Kunden werden.“ Nun frage ich mich, wer in meinem Freundeskreis bereit ist, für Geschirr mehr Geld auszugeben als bei IKEA. „Ist es denn dann für euch schwierig, mit eurem Handwerk zu überleben?“
Niedrigere Margen als bei bekannten Marken
Jérôme zeigt sich optimistisch: „Es fällt uns erstaunlich leicht, unsere Produkte zu verkaufen, weil man die Qualität und das Handgemachte einfach spürt. Eine Hartmud Tasse fühlt sich in den Händen so viel besser an als massenangefertigtes Geschirr. Eine Maschine kann den Charme von echter Handarbeit einfach nicht ersetzen. Und für Kunden mit niedrigerem Einkommen oder Studenten haben wir im Werksverkauf B-Ware, die sich Leute für kleineres Geld kaufen können. Klar sind unsere Margen nicht so hoch wie bei großen Marken und unser Job ist harte Arbeit, aber wir können davon leben und sind glücklich.“ Cool, denke ich mir. Wie schön, wenn Menschen Erfüllung bei ihrer Arbeit finden.
Gute Anfertigung hält länger
„Wie glaubst du denn, dass sich eure Branche entwickelt?“ frage ich zum Abschluss. „Ich glaube, die langfristigen Auswirkungen der Globalisierung für Mensch und Natur werden nur sehr langsam verstanden und es wächst das Bewusstsein, dass die Dinge nicht unbedingt besser oder günstiger sind, wenn sie am anderen Ende der Welt hergestellt werden. Und Bewegungen wie „Sacred Consumerism“ aus den USA helfen uns auch, uns auf alte Weisheiten zurückzubesinnen. Mein Opa hat sein Werkzeugset gehegt und gepflegt und Jahrzehnte in Gebrauch gehabt. Das gilt doch eigentlich für alles: hochwertiges Geschirr, Footballhandschuhe, ein handgeschneiderter Anzug, ein gutes Paar Schuhe. Dinge, die gut gefertigt sind, halten länger und kosten langfristig wahrscheinlich sogar weniger.“ Ich nehme mir nun vor, meine alte Unitasse trotz ihrer Herkunft zu hegen und zu pflegen und bei der nächsten Tasse auf regionalen Ton und lokales Handwerk zu achten.
Wenn ihr Interesse habt Hartmud Studio kennen zu lernen oder einen Werksverkauf zu besuchen, schaut mal vorbei www.hartmud.com oder auf Instagram @hartmudstudio
Bildnachweise: hartmud studio
Marlene führt gemeinsam mit Alexandra die Geschäfte der Lust auf besser leben gGmbH, die sie 2014 gegründet hat. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind nachhaltige Quartiers- und Regionalentwicklung sowie die Konzeption und Umsetzung von innovativen Projekten, Kampagnen und Events.
Unsere lebenslustige Powerfrau Marlene liebt das Netzwerken ebenso wie die kreative Entwicklung neuer Konzepte. Ob analog oder im Social Web: Hauptsache sie erreichen und begeistern Verbraucher:innen und andere Zielgruppen für Nachhaltigkeit.
Die Arbeit mit Kleinunternehmen und deren Förderung im Bereich nachhaltiges Wirtschaften sind seit 2014 ihre besonderen Anliegen – damals wurde sie zur jüngsten (ehrenamtlichen) Vizepräsidentin Deutschlands in der IHK Frankfurt am Main gewählt und baute das dortige Kompetenzzentrum Nachhaltigkeit auf. Mit Lust auf besser leben als „good Lobby“ zu agieren oder über knackige Texte die Öffentlichkeit für Nachhaltigkeitsziele zu begeistern ist mittlerweile das Steckenpferd der frisch gebackenen Mutter.
Als gelernte Veranstaltungskauffrau scheut sie sich nicht anzupacken. Die Denke „Das haben wir schon immer so gemacht!“ ist ihr völlig fremd, sie handelt gerne unkonventionell – und liebt gleichwohl die beinahe diktatorische Nutzung von Ablagesystemen und Aufgaben-Tools. Des Weiteren ist sie ehrenamtliche Aufsichtsrätin der OEKOGENO SWH eG, Steuerungsgruppenmitglied bei Fairtrade-Stadt Frankfurt und Rhein.Main.Fair. sowie im Beirat des kommunalen BNE-Vereins Umweltlernen Frankfurt e.V. und im Expert*Board des Zero Waste Labs der FES.