Hauptsache anpacken – oder erstmal durchdenken? Ein Wechselspiel für den Klima- und Umweltschutz – Teaminsight von Gesina

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31. Mai 2023

ÜBER DEN AUTOR
Gesina Schalenberg
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Ich wette, über die Feiertage hattet Ihr die ein oder andere Gelegenheit, mehr oder minder bewusst über Euren Klimaschutzbeitrag nachzudenken.

Vielleicht habt Ihr einfach nur den Garten begrünt, beim Einkaufen extra einen Jutebeutel wiederverwendet und ein vegetarisches Sonntagsmenü gezaubert. Oder Ihr habt überlegt, wie Ihr möglichst klimafreundlich in den Sommerurlaub kommt. Vielleicht habt Ihr sogar darüber nachgedacht, beim Buchen von Tickets dieses Häkchen „Klimaneutral reisen“ anzuklicken. Vielleicht macht Ihr das auch erst nächste Woche (leicht aufforderndes Zwinkern….).

Und dann fragt Ihr Euch bestimmt, was davon überhaupt wie viel bringt.

Da wir uns praktischerweise beruflich immer wieder mit dieser Frage beschäftigen, möchte ich heute ein paar Gedanken zur Bilanzierung und Kompensation von Treibhausgasemissionen mit Euch teilen. Denn sowohl im privaten als auch im beruflichen Engagement für den Klimaschutz fragen wir uns:

  • Wie erreichen wir mit unseren begrenzten Möglichkeiten die größtmögliche und langfristigste Wirkung – ohne uns in Kleinigkeiten zu verzetteln?
  • Und wieviel steckt wirklich hinter den immer häufiger werdenden Aussagen von Unternehmen zu ihrem CO2e-Fußabdruck und dessen Ausgleich?

Die Idee: Erst einmal die großen Hebel identifizieren und bei unvermeidbaren Emissionen das Geld dorthin lenken, wo es am meisten Treibhausgase reduziert

Es gibt immer mehr benutzerfreundliche und kostenlose Tools für eine CO2e-Bilanz*, mit der man eine Übersicht darüber bekommt, wie viele Treibhausgasemissionen durch welche Aktivitäten verursacht werden (bspw. CO2-Rechner des Umweltbundesamtes für Privatpersonen oder Ecocockpit der Landesenergieagentur Hessen für Unternehmen).

Auf dieser wissenschaftlichen Grundlage kann man eine viel effektivere Klimaschutzstrategie entwerfen, als wenn man einfach draufloslegt.

Beispielsweise wurde gezeigt, dass der Klimaschutzeffekt der Vermeidung von Plastiktüten stark überschätzt wird und die Vorteile von vegetarischer Ernährung dramatisch unterschätzt (Kearney 2019). Für Privatpersonen ist nach sonstigem Konsum (Bekleidung, Haushaltsgeräte oder Freizeitaktivitäten) zunächst das Wohnen und Mobilität, dann Ernährung und erst fünfter Stelle der Strombezug für Emissionen verantwortlich (siehe Graphik; BMUV 2022). In unserer Zusammenarbeit mit Kinos für das Projekt Kino.Natürlich, mit Dienstleistungsunternehmen und Gastronomiebetrieben im Projekt klimaGastro fiel auf: Die aufsummierte Anfahrt der Kund:innen oder auch die gesammelten Einkäufe von Lebensmittel können einzelne Emissionen aus dem Heizen oder aus Kraftstoffen von Fahrzeugen stark in den Schatten stellen. Auf einmal lag der Fokus auf der Butter, der ÖPNV-Anbindung oder den Verpackungen von Getränken. Andererseits haben Unternehmen auf den Bezug von Strom, Wärme und Kraftstoffen mehr direkten Einfluss und können durch wenige große Maßnahmen viel erreichen.

Nun gibt es zwar internationale Standards für solche Klimabilanzen aber vor allem für Aktivitäten und Produkte in der Lieferkette existieren noch viel Unsicherheit und Unterschiede in der Ausführung sowie Ungenauigkeiten und Lücken in den zugrunde liegenden Daten.

Trotzdem – die Zahlen schwarz auf weiß stellten sich in unseren Projekten als enorm wichtig für die Argumentation und Motivation für weiteres Engagement heraus. Ohne entsprechende Klimaschutzmaßnahmen hat die Bilanzierung erstmal nur Büro-Aufwand und damit wiederum Emissionen verursacht…

Wenn Unternehmen oder Ihr dann also aktiv werden möchten, kann das folgende Prinzip die größte Effektivität sicherstellen:

  • Zuerst: Emissionen – wo möglich – vermeiden (bspw. Stromsparen)
  • Dann: Emissionen – wo möglich – reduzieren (bspw. Grünstrom als Alternative)
  • Zuletzt: Nicht vermeidbare Emissionen durch Klimaschutzprojekte nach den besten Qualitätsstandards ausgleichen („kompensieren“)

Leider wird derzeit der letzte Schritt der Kompensation von Emissionen oft den ersten beiden Schritten der Vermeidung und Reduktion vorgezogen, obwohl die derzeitigen Angebote teils stark kritisiert werden.

Die gute Idee ist, dass man Geld an Klimaschutzprojekte anderswo gibt, die sonst nicht stattgefunden hätten und dort Emissionen einsparen werden, die man selbst nicht vermeiden kann. Rein rechnerisch verursacht man somit keine zusätzlichen Emissionen und fördert den nachhaltigen Wandel durch Aufforstung, Erneuerbare Energien in Entwicklungsländern etc., wo mit geringen Investitionen teils noch mehr erreicht werden kann, als in Industrienationen wie Deutschland. Für Privatpersonen gibt es entsprechende Angebote beispielsweise für Flugreisen, Drucke, Paketlieferungen etc. Leider gibt es viele Streitpunkte: Wie kommen die unterschiedlichen Preise für die Angebote zustande und wie werden Begriffe wie „klimaneutral“ definiert? Welche Methodik wird als Berechnungsgrundlage verwendet? Wird damit die Ursache adressiert oder kauft man sich ein reines Gewissen? Wie viel bewirken die Projekte? Das Umweltbundesamt hat daher Empfehlungen abgegeben, worauf man bei der Wahl von Kompensationsangeboten achten sollte (Leitfaden siehe hier). Weniger effektiv sind demnach kleine Projekte in Deutschland, doch persönliche Präferenzen für lokale Ansätze können eine berechtigte Rolle spielen. Spiegel online legte im Januar offen, dass junge Bäume in den beliebten Aufforstungsprojekten das Klima kaum schützen können und die Vermeidung der Rodung alter Wälder Priorität haben müsse (Link zum Artikel).

An diesem Punkt überlege ich: Gut durchdenken ist wichtig! Aber muss man nicht manchmal auch vor seiner eigenen Haustür das Naheliegende und Einfache anpacken?

Die Analysetools machen das effektivste CO2-Einsparpotenzial am Rechner theoretisch sichtbar, aber wenn ich mit anderen Mitstreitenden Setzlinge in die Erde stecke, spüre ich ganz praktisch meine Selbstwirksamkeit (beispielsweise beim Bergwaldprojekt e.V.). Das gibt eine andere Form der Motivation und wirkt auf ganz viele weitere Nachhaltigkeitsthemen wie Biodiversität, Wasserschutz etc. – ich denke wir brauchen wohl beides, was meint Ihr? 😉

Eure Gesina

Quellen (Stand 31.05 14.00 Uhr):

* Nach internationalen Standards werden alle Treibhausgase des Kyoto-Protokolls berücksichtigt aber entsprechend ihres globalen potentiellen Beitrags zum Treibhauseffekt ins Verhältnis zur Erwärmungswirkung von CO2 auf das Klima in 100 Jahren gesetzt, sodass über sogenannte „CO2-Äquivalente“ (CO2e) eine Vergleichbarkeit der Klimawirkung erreicht wird.

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