Greenwashing oder notwendiger Schritt? EU-Taxonomie (3/3)
16. März 2022
Henrik Brauel
Die EU-Taxonomie wird und wurde bereits kontrovers diskutiert. Ich habe mich in den letzten Wochen ausschließlich mit den Energieträgern, Kernkraft und Gaskraft beschäftigt. Nun möchte ich diese Erkenntnisse persönlich einordnen.
Profit auf Kosten der Erneuerbaren
Laut dem Statistischen Bundesamt produziert Frankreich mit deutlichem Abstand den meisten Strom durch Kernkraftanlagen. Rund 52% des europäischen Atomstroms stammt aus französischen Kraftwerken. Bei 56 aktiven Reaktoren im Jahr 2022 scheint das auch nicht verwunderlich zu sein. Zweifelsfrei kann man behaupten, dass die Atomlobby mit vielen Arbeitsplätzen einen sehr starken Einfluss auf die Politik hat. Und das hat seinen Preis: Der 2015 groß angekündigte Atomausstieg, bei dem die französische Regierung den in Frankreich verwendeten Atomstrom bis 2039 von 75% auf 50% senken wollte, ist in Vergessenheit geraten. Aufgrund von Macrons Meinung, die Atomkraft würde eine Renaissance in Frankreich feiern, können wir dieses Vorhaben wohl als eine vergangene Polit-Erinnerung archivieren.
Es steht also außer Frage, dass es in der Zukunft wohl vermehrt Investitionen in Gas und Atomkraft geben wird. Dramatisch vor allem, wenn dadurch Investitionen in wirklich nachhaltige Energien fehlen. Auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird. Es ist naiv auszuschließen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht unter der Taxonomie-Verordnung leiden wird. Der Bau von einem Atomkraftwerk ist, zumindest im Vergleich zu den erneuerbaren Energien, sehr platzgünstig.
Auch mit Blick auf Gas ist die Lage wohl kaum besser zu bewerten. Gas ist umweltschädlich, zum Teil auch umweltschädlicher als Kohle (Stichwort Fracking), kostet viel Geld und macht uns abhängig von sogenannten „Schurkenstaaten“. Dass es nun als nachhaltig deklariert wird, ist wohl auch auf Deutschland zurückzuführen.
Deutschland zwischen Heuchelei und Verantwortungslosigkeit
Deutschland zeigt sich empört über die Einstufung von Kernkraft als nachhaltig. Umweltministerin Lemke kritisiert das Vorhaben der Kommission. Sie beschreibt die Regierung als geschlossen gegen die Taxonomie. Die Bundesregierung zeigt sich wütend und fassungslos bei der Kernkraft und überspielt damit ihre Freude gegenüber der Gaskraft. Ich denke, viele Politiker:innen in Deutschland echauffieren sich, um eigene Interessen still und heimlich in die „Taxonomieverordung“ einfließen zu lassen.
Bitte missversteht mich nicht. Die Kritik an der Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Energie ist ebenso richtig wie die Einstufung von Gas.
Der Unterschied ist, dass Atomkraft meiner Recherche nach überhaupt nur im Kontext der geringen CO2-Emissionen ein Argument aufzeigt, um als nachhaltig zu gelten. Gas hat keines. Deutschland bewirkt mit der sogenannten „Brückenenergie“ nur, dass CO2-Emissionen im großen Stil „outgesourced“ werden. Denn Fracking in anderen Ländern ist nicht klimafreundlich (wie im Artikel 2/3 beschrieben).
Wir müssen uns mit Blick auf die Zukunft fragen, welche Rolle wir im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen wollen. Entweder gehen wir mit Mut zum Umbruch voran oder wir erreichen die Pariser Ziele nicht. Denn unsere jetzigen Investitionen entscheiden über unsere finanzielle wie politische Zukunft. Erneuerbare Energien werden wahrscheinlich zukünftig sehr gefragt sein und überall benötigt. Dabei spielt nicht nur die umweltfreundliche Energieerzeugung eine Rolle, sondern auch die erstrebenswerte Unabhängigkeit, die mit einem geringen Ressourcenverbrauch einherginge.
Deutschland hat Angriffe Russlands auf Oppositionelle und Journalist:innen im Inland sowie auch im russischen Ausland aufgrund von Abhängigkeit von russischen Energien und Gas zu lange ignoriert, wenn nicht sogar toleriert. In Zeiten Putins brutaler Invasion in die Ukraine zeigen sich die verhehrenden Folgen dieser Abhängigkeit deutlich.
Mehr als 50% des in Deutschland importierten Gases kommt aus russischer Hand. Wir haben uns immer erpressbarer gemacht. Putin hat mit der Abhängigkeit des Westens nicht nur Profit, sondern auch Politik gemacht, hat Machtstrukturen ausgebaut und sein Land in die Autokratie geführt.
Ob wir es wollen oder nicht: Auch wir tragen eine Mitschuld an Putins Größenwahn. Wir haben mit unserer Regungslosigkeit und Unentschlossenheit untermauert, dass Putin alles tun und lassen kann, ohne von uns größere Konsequenzen zu erwarten.
Auch wenn nun weitreichende Sanktionen gegen die russische Wirtschaft auferlegt wurden, pumpen wir weiter Milliarden Euros pro Jahr in das russische Regime und finanzieren so den Krieg mit. Um das zu verhindern, wäre ein Import von Kohle, Gas und Öl von Nöten, ungeachtet der Tatsache, ob man das wirtschafts- und sozialpolitisch verantworten will oder nicht.
Wenn wir also in Zukunft für Menschen- und Völkerrecht einstehen wollen, müssen wir uns weniger abhängig von einzelnen Ländern machen, ohne dabei die diplomatischen Beziehungen zu verlieren.
Eine Lösung hierfür ist der massive Ausbau von erneuerbaren Energien. Viele bezeichnen diese bereits als „Freiheitsenergien“ – und ich bin dem nicht ganz abgeneigt. Auch wenn es utopisch ist anzunehmen, Krieg und Unterdrückung würden durch Ausbau der erneuerbaren Energien verhindert, kann es dazu führen, dass Kriege deutlich seltener werden. Ob wir es wollen oder nicht, Deutschland ist ein großer politischer Spieler auf der Welt durch unsere wirtschaftliche Stärke. Noch!
Ist Brückentechnologie wirklich sinnvoll?
Generell finde ich trotzdem: Die Intention der EU-Taxonomie ist eine edle. Durch sie sollen nachhaltige Energien gestärkt werden und das ist richtig. Auch aus Sicht der Versorgungssicherheit ist der Grundgedanke der Brückentechnologie durchaus verständlich. Energieformen mit weniger Emissionen bei gleichbleibenden Investitionen in erneuerbare Energien klingen sinnvoll. Kritikpunkt bleibt trotzdem, dass das Geld besser investiert werden könnte als in Gasinfrastruktur.
Natürlich inkludiert die Taxonomieverordnung auch weiterhin erneuerbare Energien. Jedoch lohnt es sich mehr, in Atom und Gas zu investieren, da die Infrastrukturen für diese Energieträger bereits ausgebaut ist (abgesehen von Flüssiggasterminals). Atomkraft und Gas sind dabei sogar platzsparender. Die Befürchtung, durch die Verordnung könnten die Investitionen in erneuerbare Energien sinken, ist also nicht besonders weit hergeholt.
Ein Plädoyer zum Schluss
Die EU-Taxonomieverordnung hat durchaus gute Ansätze, ist aber, Dank mangelnder Ausführung, wohl kaum hilfreich. Es ist bitter notwendig, dass in nachhaltige Energieträger investiert wird. Allerdings hilft es in unserer Situation wenig, in sogenannte Brückentechnologien zu investieren. Wir brauchen schnelle und intensive Investmentmöglichkeiten in Windkraft, Wasserstoff und Solarenergie, um dem Klimawandel effektiv entgegenzuwirken. Gerade Deutschland hat hier eine besonders schwere Aufgabe, mit einer immer noch starken Kohlelobby.
Wir müssen uns bewusst werden, dass unsere jetzigen Entscheidungen und Handlungen über das Leben und die Existenz aller uns nachfolgender Generationen entscheiden werden. Und anders als sonst, sind unsere Entscheidungen vermutlich endgültig und nicht korrigierbar.
Liebe EU-Kommission, ich halte einen großen Teil Ihrer Taxonomie Verordnung für undurchdacht, kontraproduktiv und Greenwashing. Sie haben die Macht und die Verantwortung, nicht nur das Leben in Europa, sondern auf der ganzen Welt mitzugestalten. Also handeln Sie auch so.
Schaffen sie eine Welt, in der alle zukünftigen Generationen noch „Lust auf besser Leben“ haben.
Bild: Pixabay
Hallo, ich bin Henrik. Ich mache zurzeit mein Jahrespraktikum bei Lust auf besser leben und kümmere mich primär um den Webguide, Newsletter und das Botschafter:innenprogramm. Dabei arbeite ich mich gerne in neue Themen ein und veröffentliche sie für Euch in Form von informativen Artikeln im Blog.