Fairer Handel ist mehr als ein Siegel … oder?

VERÖFFENTLICHT

21. Dezember 2017

ÜBER DEN AUTOR
Marlene Haas
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Nachhaltig, bio, öko, fair gehandelt, globale Gerechtigkeit. Es gibt viele weitere Schlagwörter. Doch was steckt eigentlich dahinter. Und was kannst Du hier in unserer Region konkret tun?

Mit ‚Fairer Handel ist mehr als ein Siegel‘ starten wir eine Kampagne, die unsere neu gegründete Online Community ‚Nachhaltig leben und einkaufen in Frankfurt-Rhein-Main‘ nutzt, uns allen als Verbraucher im Alltag weiterzuhelfen – niedrigschwellig und mit Lust auf das Thema. Die Kampagne wird verschiedene Fokusthemen haben. Im Dezember 2017 starten wir mit ‚Fairer Handel und Ernährung‘ – global und regional von großer Bedeutung.

Was ist fair handeln für unsere Nachhaltigkeitsbotschafter und wie verändern wir die Welt?

Wir machen wir nichts ohne unsere Basis, die Nachhaltigkeitsbotschafter. Wir haben mit 16 von 26 gesprochen und nachgefragt. Denn sie leben den fairen Handel vor, unabhängig von standardisierten Definitionen – und darauf kommt es an.

Diese Wordcloud fasst ganz gut zusammen, um welche Themen es geht.

Das Ergebnis aus Gesprächen mit den Botschaftern. In den verschiedenen Blogbeiträgen zu Fairem Handel 1-4 erfahrt Ihr mehr.

 

Aus den Interviews haben sich vier Themenstränge ergeben, die wir Euch hier kurz erklären und zwar zugespitzt, weil es schon genug trockene Texte gibt.

1. Es geht um Lieferkette und Zwischenhändler

Falls Du es noch nicht wusstest: Deutschland ist ein Entwicklungsland. Wir denken, dass 4 Euro für eine Tafel Schokolade zu viel Geld ist, wenn es doch auch eine für 80 Ct. gibt. Wie hinterwäldlerisch! Oder würdest Du Dir auch den billigsten Fusel reinziehen, obwohl Du genau weißt, dass Du davon morgen dermaßen Kopfweh bekommst, dass Du danach mindestens zwei Schmerzpillen nehmen musst? Vielleicht ab und zu. Aber nicht täglich. Und die Welt kriegt Kopfweh, besser gesagt: hat sie schon. Und es werden immer mehr Tabletten dagegen entwickelt. Doch das hilft langfristig nicht, wenn Du immer weiter Fusel trinkst. Warum sollst Du also lieber mehr Geld ausgeben und vor allem überlegen, wo Du einkaufst? Wo ist der Unterschied, der den Preis bestimmt? Qualität, Umwelt ohne Kopfschmerzen, und… es bleibt mehr beim Erzeuger (außer bei teuren Markenprodukten, bei denen Du für das Logo zahlst). Denn es gibt viele billige Produkte, die vom Erzeuger über viele Zwischenhändler zu Dir in den Supermarkt kommen? Da bleibt nicht viel übrig. Unfair? Mehr lesen zu Teil 1 der Kampagne …

2. Siegel sind wichtig, aber…

Es gibt X Siegel. Auch für ‚fair gehandelte‘ Produkte. Es gibt UTZ, Rain Forest Alliance, GEPA, Fair Trade von TransFair, El Puente, dwp,für regionale Produkte Naturland, Bioland, Demeter, deutsches und EU-Bio… Puh!

Alle diese Siegel sind wichtig und tragen zu einer gerechteren Welt bei, einige mehr als andere aufgrund anderer Philosophien. Zum Beispiel haben Naturland und co. andere Bedingungen als EU-Bio und sorgen dafür, dass wir gesündere Böden behalten, Bauern gut leben können und unsere Enkel keine ‚Welt reparieren‘-Steuer zahlen müssen. Bei global gehandelten Produkten ist es ähnlich: Es gibt Basis-Standards und solche, die entwicklungspolitische Ziele haben. Die Produkte in Weltläden z.B. sorgen für eine wirtschaftlich gerechtere Gesellschaft, da die Bauern in den Herkunftsländern Mindestpreise erhalten. Oder möchtest Du auf einen Teil Deines Gehaltes verzichten müssen, weil sich aufgrund von Spekulationen an der Börse der Weltmarktpreis für Deine Arbeitsleistung geändert hat? Deine Arbeit ist jetzt nichts mehr wert. Pech gehabt. Musst Du halt weniger heizen. Auf der anderen Seite kosten Siegel Geld für die Erzeuger und es gibt einige, die sich das nicht leisten können und dennoch ganz wunderbare Produkte herstellen. Um diese zu entdecken, brauchst Du Händler, denen Du vertraust. Diese können Dich beraten und Du weißt dann, dass Du für Dein Geld wirklich das Richtige bekommst. Doch der Händler zahlt Ladenmiete, er beschäftigt sich mit den Produkten, er will auch fair bezahlt werden. Und dann schmeißt Du den Computer an und kaufst doch schnell online. Unfair? Mehr zu Teil 2 der Kampagne …

3. Was ist Fairer Handel? Regional, global…

Du zahlst 99 Ct. für die Discounter-Schokolade, die vielleicht sogar irgendein Siegel hat. Was bleibt davon beim Bauern? Und was werden Deine Kinder einmal dafür mehr an Steuern zahlen müssen, weil die sozial- und umweltfeindlichen Anbaumethoden so viel zertsört haben, dass die Kosten steigen, um unsere Welt wieder ins Lot zu bringen?

Du kaufst gern die günstige Milch, gentechnikfrei – cool, aber sonst gehst Du nach dem Preis? Davon kann ‚der Bauer‘ nicht ohne Subventionen leben und auch nicht ohne produktivitätssteigernde Mittel, die unsere guten Mutterböden (so nennt man das) verseuchen, damit mehr Futter angebaut werden kann und somit mehr verkauft wird. Den Preis zahlen Deine Enkel. Der kleine Bauer kann nur noch schwer überleben, wenn er es anders machen will… Weil wir uns an die niedrigen Preise gewöhnt haben und uns lieber ein neues Smartphone kaufen als 80 Ct. mehr für die regionale Bio-Milch auszugeben. Er arbeitet 70 Stunden die Woche (Minimum) und ist dennoch nicht reich. Unfair? Mehr zu Teil 3.1 und Teil 3.2

4. Es muss bequem und sexy sein…

Wir können und sollten Fortschritt nicht zurückdrehen wollen. Auch wenn dieser nicht immer eine langfristige Verbesserung der Lebensqualität bedeutet. Der Erfinder der Kaffeekapseln sollte vielleicht auf eine Mülldeponie verbannt werden – doch was bringt’s? Nun gibt es sie, er schmeckt tatsächlich gut und er wird gekauft. Man muss nicht jeden Scheiß mitmachen, aber wenn sich Scheiße durchsetzt, sollte die überaus intelligente Gattung Mensch einen Schritt voraus sein – und den Spieß umdrehen. Denn nur dann gibt es bald noch mehr bequeme und attraktive Alternativen für diejenigen unter uns, die wissen, dass sie keinen Heiligenschein verdient haben und dennoch unter den Teufeln die nachhaltigste Alternative wählen würden. Ein Beispiel dafür sind fair gehandelte, biologische Kaffeekapseln, die CO2-neutral aus organischem Material hergestellt werden. Sie sind nicht teurer als die unfair gehandelten, Müllhalden-füllenden Kapseln, denn bei ihnen zahlst Du die Marke. Unfair? Nun weißt Du, dass es anders geht und auch der größte Schweinehund kann trainiert werden und dennoch vor Freude mit dem Schwänzchen wedeln. 🙂 Zu Teil 4  …

Gut, dass es anders geht.

Wir glauben fest an das Gute und wissen, dass jeder Kassenzettel in der Summe mehr bewirkt als die 2 qm Wahlzettel für die Bundestagswahl, die dann doch nicht entscheidet…

Wenn Du verstehst, was Dein Handeln, jeder kleine Schritt, für Auswirkungen hat…

Wenn Du darauf vertraust, was die Läden und Bauern in Deiner Region Dir verkaufen, weil es Menschen sind und keine Pixel…

… dann wirst Du Schritt für Schritt fair handeln. Weil Du nicht anders kannst, auch wenn Du mal einen Schritt zur Seite oder zurück gehst, wirst Du doch voran gehen. Und es wird Dir richtig gut dabei gehen, weil es besser schmeckt, Du es mehr genießen kannst, Du gesünder lebst und weißt, dass niemand dafür bezahlen muss außer Dir an der Kasse 🙂

Und lass Dir von Fundis nichts einreden. Kontroversen sind okay, so lange Du Dir Gedanken machst – und Lust auf besser leben hast.

Was ist fairer Handel für Dich?

Das sagen andere auf Twitter:

 

 

 

 

 

 

 

Das kam auf Facebook heraus:

 

 

 

 

 

Was ist fairer Handel laut anerkannter Institutionen?

Wir zitieren www.fairtrade.de von der GEPA:

„Egal auf welchem Kontinent oder in welchem Land: Menschen wollen mit ihrer Arbeit mindestens so viel verdienen, dass sie davon leben können.

Wenn ein Bauer trotz harter körperlicher Arbeit seine Familie nicht ernähren kann, dann liegt das zum Teil auch an ungerechten Welthandelsstrukturen. Im Fairen Handel sind die Strukturen anders: Die Produkte werden zu fairen Bedingungen hergestellt und importiert. Im Mittelpunkt stehen die Produzentinnen und Produzenten, denn: Der Faire Handel ist mehr als Import und Vertrieb von Produkten. Er gibt den Menschen hinter den Produkten ein Gesicht. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, ist das Ziel des Fairen Handels.

Fairer Handel heißt für uns, dass wir Arbeit und Verdienstmöglichkeiten haben, so dass wir unsere Kinder zur Schule schicken können. Von unserem Verdienst haben wir in der Gruppe ein gemeinsames Konto angelegt, und wir alle entscheiden, wer davon einen Kredit bekommen kann. Wir wollen kein Mitleid, sondern Arbeit, die wir in Würde verrichten können. Wir haben nun auch eigene Arbeitsräume, wo die Arbeitsbedingungen gut sind.“
(Sunita, Schatzmeisterin der Gruppe Taja16, TARA Projects, Indien.)
Aus: Die Wirkungen des Fairen Handels, S. 5

Beim Fairen Handel geht es nicht nur um den Warenhandel, sondern es geht auch darum, auf politischer Ebene für mehr Gerechtigkeit einzutreten. Zwar ist der Faire Handel nicht die Lösung für alle Probleme dieser Welt, aber er bietet benachteiligten Produzenten eine Möglichkeit, ihre Produkte unter fairen Bedingungen zu vermarkten.

In vielen Bereichen hat der Faire Handel Pionierarbeit geleistet und in der Bevölkerung ein Bewusstsein für kritischen Konsum geschaffen. Seit es vielen Menschen nicht mehr egal ist, wie ein Produkt entsteht, achten zunehmend mehr Firmen auf die Einhaltung von Sozialstandards.

Was ist fair am Fairen Handel?

Viele verbinden mit dem Fairen Handel die Zahlung eines fairen Preises. Damit ist gemeint, dass für bestimmte Produkte ein Fairtrade-Mindestpreis garantiert wird. Für diese Produkte muss er immer gezahlt werden – egal, wie niedrig der Weltmarktpreis liegt. Darüber hinaus wird für viele Produkte auch eine Fairtrade-Prämie bezahlt. Die zu Genossenschaften zusammengeschlossenen Bauern entscheiden selbst, wofür die Fairtrade-Prämie verwendet wird, z.B. für:

  • Bau von Trinkwasserbrunnen
  • Bau oder Renovierung von Straßen / Schulen
  • Medizinische Versorgung
  • Fortbildungen

Mehr als nur ein fairer Preis:

Der Fairtrade-Mindestpreis ist ein Mindestkriterium. Fairer Handel heißt aber sehr viel mehr:

Es gelten partnerschaftliche Prinzipien wie z.B. langfristige und möglichst direkte Handelsbeziehungen. Bei Bedarf erhalten die Genossenschaften schon vor der Lieferung eine Anzahlung, die so genannte Vorfinanzierung. Auch die Umstellung auf biologische Landwirtschaft wird im Fairen Handel stark gefördert.

Für viele Bauern ist es schwierig, ihre Ware zu vermarkten. Oft fehlt es an den einfachsten Dingen wie zum Beispiel einer Transportmöglichkeit der Produkte. Durch den Zusammenschluss in Genossenschaften haben die Bauern die Möglichkeit, ihre Produkte zu vermarkten, sich fortzubilden und für ihre Rechte einzutreten.

Außerdem sind im Fairen Handel ausbeuterische Kinderarbeit und Zwangsarbeit verboten. Angestellte auf Plantagen und in Fabriken erhalten eine angemessene Bezahlung und profitieren unter anderem von Schutzkleidung, bezahltem Urlaub und sozialer Vorsorge – alles Dinge, die bei uns selbstverständlich sind.

In den Industrienationen leisten viele engagierte Menschen Bildungs- und politische Arbeit, um die Verbraucher zu informieren und langfristig ungerechte Weltwirtschaftsstrukturen abzubauen.“

Es gibt auch kritische Stimmen, die – und das spricht für einen sinnvollen Prozess – nicht verheimlicht werden. Lest selbst…

 

Bildquelle: Bürger AG für regionales und nachhaltiges Wirtschaften

Marlene Haas
Author: Marlene Haas

Marlene führt gemeinsam mit Alexandra die Geschäfte der Lust auf besser leben gGmbH, die sie 2014 gegründet hat. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind nachhaltige Quartiers- und Regionalentwicklung sowie die Konzeption und Umsetzung von innovativen Projekten, Kampagnen und Events. Unsere lebenslustige Powerfrau Marlene liebt das Netzwerken ebenso wie die kreative Entwicklung neuer Konzepte. Ob analog oder im Social Web: Hauptsache sie erreichen und begeistern Verbraucher:innen und andere Zielgruppen für Nachhaltigkeit. Die Arbeit mit Kleinunternehmen und deren Förderung im Bereich nachhaltiges Wirtschaften sind seit 2014 ihre besonderen Anliegen – damals wurde sie zur jüngsten (ehrenamtlichen) Vizepräsidentin Deutschlands in der IHK Frankfurt am Main gewählt und baute das dortige Kompetenzzentrum Nachhaltigkeit auf. Mit Lust auf besser leben als „good Lobby“ zu agieren oder über knackige Texte die Öffentlichkeit für Nachhaltigkeitsziele zu begeistern ist mittlerweile das Steckenpferd der frisch gebackenen Mutter. Als gelernte Veranstaltungskauffrau scheut sie sich nicht anzupacken. Die Denke „Das haben wir schon immer so gemacht!“ ist ihr völlig fremd, sie handelt gerne unkonventionell – und liebt gleichwohl die beinahe diktatorische Nutzung von Ablagesystemen und Aufgaben-Tools. Des Weiteren ist sie ehrenamtliche Aufsichtsrätin der OEKOGENO SWH eG, Steuerungsgruppenmitglied bei Fairtrade-Stadt Frankfurt und Rhein.Main.Fair. sowie im Beirat des kommunalen BNE-Vereins Umweltlernen Frankfurt e.V. und im Expert*Board des Zero...

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