Das demokratische Damoklesschwert: Die Pressefreiheit in Gefahr – Team Insight

VERÖFFENTLICHT

10. Mai 2022

ÜBER DEN AUTOR
Henrik Brauel
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Deutschland hat sich, was das Thema Pressefreiheit angeht, im internationalen Vergleich um drei Plätze verschlechtert. Das ist angesichts der momentanen Lage wohl kaum verwunderlich. Während Zeitungshäuser wie die Bild wild an der Populismusschraube drehen und mehrfach Grenzen überschreiten, werden seriöse Zeitungen und Sendungen diskreditiert und der Propaganda bezichtigt. Das Misstrauen in Medien wird vor allem auf Demos deutlich spürbarer. Hinzu kommt die steigende Gewalt gegen Journalist:innen, vor allem auf Kundgebungen gegen die Corona Politik.

Weltweit sind hunderte Medienschaffende in Haft. Auch wenn das im ersten Moment nicht viele zu sein scheinen, handelt es sich um unschuldige Individuen, die sich der Aufklärung verschrieben haben und rein aufgrund ihrer Überzeugung eingesperrt wurden. Jede:r eingesperrte Journalist und Journalistin ist eine:r zu viel. Also soll es heute um die Pressefreiheit gehen, wie sie gefährdet ist und was das bedeutet.

Die Legitimation von Gewalt

Die Pressefreiheit garantiert nach dem Grundgesetz die ungehinderte Durchführung von journalistischen Tätigkeiten. Das jedoch scheint vor allem auf Demos aktuell unzureichend gewährleistet. Vor allem bei Veranstaltungen gegen Corona-Maßnahmen sind in der Vergangenheit öfter mit Gewalttaten gegen Medienschaffende aufgefallen. Neben Beleidigungstiraden und Sprechgesängen, die das Wort Lügenpresse unaufhörlich rezitieren, steigen die Zahlen körperlicher Gewalttaten in Deutschland deutlich. 80 Fälle von körperlicher Gewalt gegen Journalist:innen wurden 2021 nach Reporter ohne Grenzen registriert. Die meisten bei sogenannten „Querdenkerdemos“. Bilder von beschädigtem Equipment und verletzten Journalist:innen sind Bilder des Hasses und Demokratiefeindlichkeit. Auch wenn natürlich der überwiegende Teil der Demonstrierenden friedlich war (das möchte ich an der Stelle ausdrücklich betonen!), ist die Häufung der Angriffe, besonders bei eben solchen Kundgebungen auffällig. Es spricht Bände, dass Personenschutz von Kamerateams auf Demos längst keine Seltenheit mehr ist. Doch die Legitimation von Gewalt fängt weder bei den Jornalist:innen an, noch hört sie dort auf. Dabei ist das Verbrennen von Flaggen, das schreien antisemitischer Parolen, das Beschimpfen und Beleidigen anderer nur ein Auszug.

Was Gewalttäter:innen in die Hände spielt, ist die kollektive Rückendeckung. Dabei wird die Gewalt oft als legitimes demokratisches Mittel dargestellt und glorifiziert. In (a-)sozialen Medien wird sie bejubelt. Beim Eierwurf auf die amtierende Oberbürgermeisterin Berlins Franziska Giffey sind im Internet schallender Beifall und etliche Kommentare laut geworden, die intellektuelle Bemitleidung nötig hätten. Im Nachgang sind wenige kritische Stimmen , vielmehr Relativierung und  links-  sowie rechtsextreme Parolen zu lesen. „[..]ich möchte alle dazu aufrufen beim nächsten Mal doch bitte ein bisschen besser zu zielen“ oder „es mehren sich die stimmen dass es eine vegane alternative zum eierwurf gebraucht hätte und naja ich empfehle steine sind zwei Twitter-Kommentare, die sich weit von geschmackvollem Humor und eine gemäßigten Meinung entfernt haben.

Das Perfide: Antagonist:innen nutzen jeweils die anderen Gewalttaten, um eigene zu verschleiern, zu relativieren oder sogar zu rechtfertigen. Ihre Grundregel: Gewalt ist gerechtfertigt, sofern sie meinen politischen Ansichten dient. Wehe aber, sie kommt von politischen Gegner:innen. Dann nenne ich mich Demokrat:in, zeige mich empört und schreibe mir Pazifistentum auf die Stirn. Anstatt Verbrechen jeder Art als das zu betrachten, was sie sind, werden sie immer wieder zu einem politischen Spielball. Um das zu bestätigen, reicht ein Blick in die Kommentarsektion der Berliner Oberbürgermeisterin. [HIER]

Jornalist:innen und Demonstrationen

Des Weiteren erleben Journalist:innen in Deutschland immer weniger Schutz der Polizei auf Demonstrationen. Nach Reporter ohne Grenzen „wurden 12 Fälle registriert, in denen Polizistinnen und Polizisten selbst die Presse angriffen, zum Beispiel mit Schlagstöcken oder mit dem Strahl eines Wasserwerfers, der gezielt auf als „Presse” gekennzeichnete Personen gerichtet wurde.“ Behinderungen der journalistischen Tätigkeiten durch Abtastungen und Platzverweise nicht eingerechnet.

Zahlreiche Berichte von Journalist:innen, die sich von den Vollstreckungsbeamt:innen alleine gelassen fühlen, aufgrund fehlender Hilfe gegen Gewalt und Bedrohung, sind dabei noch das Harmloseste.

Der böse Staatsfunk

Eine Diskussion, in der täglich das Murmeltier grüßt, ist die „Debatte“ über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Während die einen sachlich über nötige Reformen wie die Transparenz der Strukturen und des Budgets oder über die nötige Gehaltsanpassungen von Fachpersonal (z. B. an der Kamera, Ton, Assistenz etc. …) diskutieren, scheinen andere den Unterschied zwischen „staatlich“ und „öffentlich-rechtlich“ nicht zu verstehen. Sendeanstalten wie ARD oder ZDF werden als Propagandawerkzeug, Lügenmedien, Volksverräter oder gleichgeschaltet beschimpft. Meinungsmacher wie Attila Hildmann, Michael Wendler u. a. wiegeln ihre Gefolgschaft immer wieder gegen eben diesen auf. Manche Politiker:innen sprechen sich klar für eine Abschaffung des ÖRR aus, unbeeindruckt von der verfassungsmäßigen Rechtslage.

Dabei taucht eine Redewendung immer häufiger auf: Das Wort Staatsfunk scheint großen Anklang unter den „Kritiker:innen“ des öffentlich-rechtlichen Systems zu finden. Dabei ist es nicht nur eine falsche Darstellung der Rundfunkstruktur, sondern ist ein Begriff, der rein auf die Unterwanderung des Vertrauens zielt. Und es funktioniert.

Sind deutsche Medien gleichgeschaltet?

Der Vorwurf der Gleichschaltung von Medien ist dabei mindestens genauso fehlerhaft wie die These eines Staatsfunks. Auffallend oft werden Kommentare mit neutralen Beiträgen verwechselt und Themen von Leser:innen deutlich simplifiziert. So zum Beispiel aktuell bei der Invasion Russlands in die Ukraine. Wer Medien generell als Kriegstreibende bezeichnet, vergisst, dass sich die meisten Zeitungen und Sendungen zwar einig, aber einig uneinig sind. Gemeinsamkeiten gibt es in dem Punkt, dass der Krieg Enden muss. Wo sich allerdings die Geister scheiden, sind persönliche Einordnungen von z. B. Waffenlieferungen, Diplomatie und Führungsrolle Deutschlands, weil Meinungsbeiträge aus Sicht des/der Autor:innen verfasst werden. Wichtig ist deshalb zu beachten, dass ein Kommentar nie als Meinung der ganzen (z. B.) Zeitung gesehen werden kann.

Aber was „Kritiker:innen “ von Medien halten, lässt sich am besten zeigen, wenn wir sie selbst reden lassen. Denn für Einige ist Presse nur dann fair und frei, wenn sie die eigene Meinung verbreitet. Auch wenn den meisten klar sein sollte, dass Freiheit wohl etwas anderes ist.

Menschen verlangen einfache Antworten auf komplexe Fragen. Davon profitieren Hetzer:innen und Populist:innen. Von Zeitungen samt Fernsehsendungen wie der Bild, die in bizarren Talkshows wie Viertel nach Acht teils Personen mit der gleichen Meinung versammelt, kann man dabei nicht erwarten, dass es zu einem differenzierten Ergebnis kommt. Das Ganze wirkt mehr wie ein mittaglicher Kaffeetratsch, als ein journalistisch-politisches Diskussionsformat. Obwohl Kritiker:innen der sogenannten „Mainstreammedien“ diesen immer wieder vorhalten, sie würden nicht differenziert berichten, scheint genau das dem Image der Bildzeitung keinen Schaden zu tun.

Auch wenn die Bild mehr als doppelt so viele Rügen des deutschen Presserats erhält wie die nächsten fünf meist gerügten Zeitungen zusammen, gilt sie immer noch als verlässliche Quelle. Mit reißerischen Titeln versucht sie, Aufrufe auf Sensationsberichterstattungen wie „Sie haben den Polizisten-Mörder!“ zu generieren. Sie zeugt immer wieder von unsauberer Arbeit und dem Willen, um jeden Preis die maximalen Klicks aus jedem Thema zu ziehen. Von falschen Zitaten über das veröffentlichen von privaten Chats bis hin zum Zeigen von Opfern eines Suizides. Zeitungen wie die Bild sind – meiner Meinung nach – nicht nur maßgebliche Ursache des Misstrauens gegen die Medienlandschaft, sondern profitieren davon gleichzeitig am meisten.

Das politische Dilemma

Ein besondere Aufgabe von politischen Journalist:innen ist es, politische Strukturen zu beobachten. In Ländern wie der Türkei, die sich in ein autoritäres Land entwickelt, sind Journalist:innen täglichen Gefahren von Gewalt und Inhaftierung ausgesetzt. Regierungen wie die Saudi Arabiens töten Journalist:innen, ohne dafür wirkliche Konsequenzen erwarten zu müssen. China zensiert Zeitungen und das Internet so rabiat, dass unabhängige Berichterstattung, wenn überhaupt, nur unter großer Gefahr geschehen kann. Ägypten, Syrien, Irak, Venezuela, Belarus, Myanmar, Vietnam etc. sind Länder, in denen Pressefreiheit nicht existiert. Alleine 2022 wurden bereits 25 Journalist:innen getötet, 61 eingesperrt und etwa 460 Journalist:innen sitzen derzeit insgesamt im Gefängnis.

Allgemein wird die Arbeit nicht nur gefährlicher, sondern von „der“ Politik deutlich erschwert. Häufig müssen Recherchierende auf Insider zurückgreifen, sogenannte „Whistle Blower“. Die Bedeutung dieser wurde vor allem bei den Enthüllungen um Edward Snowden zu den illegalen Abhörtaktiken der CIA und den veröffentlichten Videos auf der Plattform Wikileaks deutlich, die streng geheime Beweisvideos beinhalten, welche mehrere schwerwiegende Kriegsverbrechen zeigen  – unter anderem die Exekution eines Journalisten der internationalen Nachrichtenagentur Reuters und seines Fahrers/Assistenten durch das US-Militär. Zuvor hieß es, die Journalist:innen seien in einem Gefecht zwischen Aufständischen und dem US-Militär zwischen die Fronten geraten. Durch die Enthüllungen weiß man heute, es gab weder Aufständische, noch Kreuzfeuer. Zu Hilfe kommende, wie Sanitäter gekleidet, wurden daraufhin mit panzerbrechender Munition beschossen und getötet. Auf dem Vordersitz des Minivans, der zur Hilfe kam, saßen zwei Mädchen, die später schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht wurden. Zynische Kommentare der Besatzung über Verletzte, Tote und auch über die Kinder ziehen sich durch den ganzen Einsatz. „Oh ja, schau dir all die toten Bastarde an.“ und „Na ja ist deren Schuld, wenn sie Kinder mit in die Schlacht bringen“ sind nur zwei Kommentare der Piloten. Das Pentagon hat bis zur Veröffentlichung des Videos durch Wikileaks die Vorkommnisse vertuscht.

Heute, fast 13 Jahre nach Veröffentlichung, ist niemand zur Verantwortung gezogen worden. Mehr noch: Der Einzige, der in Verbindung zu diesen Videos belangt werden soll, ist Julien Assange. Er ist weder Pilot noch Schütze, Kommandeur, General oder Teil der Vertuschungskampagne. Er war es, der die Videos, die ihm von einer geheimen Quelle zugespielt wurden, öffentlich gemacht hat. Auf ihn warten 175 Jahre Haft in den Vereinigten Staaten, weil er Kriegsverbrechen bzw. die brutale Exekution von mindestens 5 Zivilisten durch das US-Militär aufgedeckt hat. Im Laufe des Versuches der CIA, Assange in die USA zu bringen, wurden ihm Verbrechen angehängt, hat die CIA gegen internationale Diplomatieabkommen verstoßen und vermutlich deutlich mehr Unvorstellbares getan. Wir können damit rechnen, dass Julien Assange nach seiner Verhaftung von der CIA gefoltert wird, um die undichte Stelle im Pentagon zu finden.

Am 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, gab es viele Appelle aus der Regierung, wir müssten die Pressefreiheit verteidigen und dass es sie zu schützen gilt. Nicht ein Wort zu Julien Assange – dem Paradeeispiel für das Risiko, dem sich Journalist:innen stellen müssen, wenn sie schwerwiegende Fehler von Staaten offenlegen.

Dabei müssen wir uns auch in Deutschland an die eigene Nase greifen. Wie in der Beurteilung des Berichtes von Reporter-ohne-Grenzen (RSF) klar gemacht wurde: „Auf der Ebene der Gesetzgebung kritisierte RSF den mangelnden Schutz von Journalistinnen und Journalisten sowie ihrer Quellen bei der Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung, da diese eine Ausweitung der Befugnisse für Sicherheitsbehörden vorsieht, ebenso wie die Reform des BND-Gesetzes und den sogenannten Staatstrojaner. 2021 wurde zudem bekannt, dass Deutschland die Spyware Pegasus nutzt. Das Defizit beim Auskunftsrecht von Medien gegenüber Bundesbehörden blieb 2021 weiter bestehen. Auch Klagen gegen kritische Recherchen und Sexismus im Journalismus stellten im vergangenen Jahr weiterhin ein Problem dar.“ – Reporter ohne Grenzen.

Deutschland hat ein Problem mit Gesetzen, die die Pressefreiheit erkennbar einschränken. Getan wird jedoch nichts.

 

Mein Fazit

Die Pressefreiheit ist bedroht. Nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch. Auch wenn es keine:r zugeben will, der Bericht von Reporter ohne Grenzen zeigt es deutlich. Jedoch gibt es in Deutschland natürlich eine freie Presselandschaft. Durch Verschwörungstheorien, Populismus und Hetze wird das Vertrauen in diese dabei erheblich geschwächt und sorgt für ein generelles Klima des Misstrauens. Menschen, die bei Demos den öffentlich-rechtlichen Medien Lügenpresse hinterherschreien oder sie auf Social Media als Staatsrundfunk oder Populismuspresse diskreditiert, unterscheidet sich nur kaum von Feind:innen der Pressefreiheit, die das öffentlich-rechtliche System ganz abschaffen wollen. Wichtig ist dennoch: Wir brauchen eine Reformation des Rundfunks. Er muss transparenter in der Entscheidungsfindung und Strukturen fairer für Fachkräfte und vor allem moderner werden. Zeitungen müssen sich bei Fehlern von Kolleg:innen wieder stärker gegenseitig kritisieren, um eine effektive Selbstkontrolle zu erhalten.

Wir müssen jetzt Gesetze zum Schutz von Quellen/Whistleblower:innen verabschieden, sollten uns für die Freilassung von Julien Assange einsetzen und ihm politisches Asyl anbieten – und wir müssen Gewalt als Gesellschaft entgegentreten. Wir dürfen Extremist:innen keine Chance lassen sich zu idealisieren.

Jede:r sollte Verlage, Zeitungen und Sendungen stets bei Fehlverhalten rügen und Artikel oder Kommentare hinterfragen und nachprüfen. Wer allerdings Medien generalisiert Propaganda vorwirft, wer Medienschaffenden und Politiker:innen gewaltvoll entgegentritt und Gewalt relativiert oder verherrlicht, wer Journalist:innen einsperrt oder ihnen Verbrechen anhängt, wer sie verfolgt, weil sie ihre Meinung sagen, kann sich nicht demokratisch nennen.

Es ist wichtig sich in den Kopf zu rufen: Ohne Pressefreiheit, scheitert nicht nur die Freiheit an sich, sondern auch die Demokratie.

Euer Henrik

Henrik Brauel
Author: Henrik Brauel

Hallo, ich bin Henrik. Ich mache zurzeit mein Jahrespraktikum bei Lust auf besser leben und kümmere mich primär um den Webguide, Newsletter und das Botschafter:innenprogramm. Dabei arbeite ich mich gerne in neue Themen ein und veröffentliche sie für Euch in Form von informativen Artikeln im Blog.

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