Die Kooperative eG über den kooperativen Hahn Horst, Ernährungssouveränität und hybride Sorten als eierlegende Wollmilchsäue.

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11. Mai 2019

ÜBER DEN AUTOR
Marlene Haas
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„Die Region kann sich selbst ernähren – gesund, gemeinschaftlich und selbstbestimmt.“

– Ein Gespräch mit Christoph Graul und Silas Müller von Die Kooperative eG über den kooperativen Hahn Horst, Ernährungssouveränität und hybride Sorten als eierlegende Wollmilchsäue.

Wir haben nachgefragt. Christoph und Silas sind erfahrene Gärtner und Landwirte und wissen, was die Herausforderungen und Chancen regionaler Landwirtschaft sind.

Für manche gelten sie als Träumer, für andere als Visionäre. Eins sind sie aber ganz gewiss: tatkräftig, engagiert und überzeugt. „In zwanzig Jahren möchten wir bis zu 30.000 Stadtbewohner mit Obst, Gemüse und Eiern versorgen“, sagt Christoph zuversichtlich.

Der erfolgreiche Start nach der Gründung scheint es möglich zu machen – innerhalb von einem Jahr sind sie von null auf 250 zu versorgende Haushalte gewachsen. Und täglich kommen mehr dazu.

„Wie funktioniert die Kooperative?“ frage ich. Silas erklärt: „Wir möchten die Menschen wieder in die Lage versetzen, über ihre Ernährung selbst zu bestimmen. Unsere Mitglieder entscheiden mit uns gemeinsam, was angebaut wird und wie die Strukturen ausgebaut werden. Dabei möchten wir nicht alles selbst machen. Unsere Mitglieder säen und ernten mit (wenn sie möchten), sie zaubern aus Kohl hervorragendes Sauerkraut, das mit den Ernteanteilen an die anderen Mitglieder verteilt wird, und sie treffen sich zu gemütlichen Kochabenden, um auch als Gemeinschaft wieder zusammenzuwachsen.“

Christoph ergänzt: „Und auch bei der Produktion setzen wir auf Kooperation: Es gibt so viele tolle Biohöfe in der Region – die möchten wir kooperativ vernetzen, um ihre Produkte an die Mitglieder zu bringen. Alles bio, alles möglichst ressourcenschonend und klimafreundlich.“

Kurze Wege für unsere Ernährung aus Frankurt – mit Hahn Horst

Das klingt nach kurzen Wegen. „Welche Wege gehen die kooperativen Produkte denn genau?“ frage ich nach. „Der erste Schritt ist die Produktion – wir haben Eigenproduktion von Obst und Gemüse auf unseren Flächen in Oberrad und Steinbach. Und seit kurzem haben wir auch ein Hühnermobil, wo Chefhahn Horst mit seiner Schar lebt, daher können wir die Mitglieder nun auch mit eigenen Eiern und Hähnchen versorgen.

Zusätzlich holen wir Produkte von den Höfen unserer Kooperationspartner ab, z.B. Gemüse vom Eichwaldhof, Spargel vom Obsthof Speth oder Brot von der Denningers Mühlenbäckerei. Eier und Gäse zu Weihnachten kommen vom Inselhof.“ „Und dann liefert Ihr die Produkte zu den Mitgliedern nach Hause?“ „Nein,“ antwortet Silas, „das könnten wir personell gar nicht stemmen, aber außerdem ist es auch nicht klimafreundlich, jedes Mitglied einzeln zu beliefern. Wir haben stattdessen eine wachsende Struktur von Depots in den Stadtteilen, und Mitglieder wohnen in der Regel maximal 500m von ihrem Depot entfernt. Die Abholung erfolgt meist zu Fuß oder auf dem direkten Heimweg. Und wir wollen ja auch, dass die Menschen sich wieder mehr begegnen, miteinander reden. Beim Abholen entstehen mittlerweile vermehrt Gespräche über Rezepte und sogar Verabredungen zum gemeinsamen Kochen.“

„Das gemeinsame Fluchen über die Verarbeitung von Quitten oder Kohl verbindet offensichtlich,“ lacht Christoph.

Stadtteildepots sparen hunderte Kilometer

„Wisst Ihr, ob die Depotstruktur wirklich klimafreundlich ist?“ hake ich nach. Silas antwortet: „Klar! Das haben wir sogar ausgerechnet. Mit unserem wöchentlichen Tourenplan für die Depots sparen wir bei 200 Mitgliedern ca. 100km Wege im Vergleich zur Belieferung an die Tür.“ Cool. Und mir schadet es auch nicht, meinen Ernteanteil einmal pro Woche nach Hause zu schleppen.

Christoph überlegt. „Aber wenn wir über die Wege von Lebensmitteln sprechen, müssen wir eigentlich noch vorher ansetzen.“

Hybridsaatgutführt zu Schwund von Sorten

Das verstehe ich nicht. Wir haben doch schon über die Produktion und Verteilung geredet. Silas erklärt: „Wir zaubern das Obst und Gemüse ja nicht aus der Luft. Und es ist eine unglaublich wichtige Frage, welches Saatgut oder welche Jungpflanzen man verwendet. Der Siegeszug der heute weitverbreiteten Hybridsorten hat zu einem drastischen Schwund von samenfesten Sorten geführt und mit ihnen die natürliche Fähigkeit zur Vermehrung. Gentechniknahe Züchtungsmethoden, bei denen Konzerne am Ende sogar die Rechte an der pflanzlichen DNA haben, stellen den Ökolandbau in Frage und dem möchten wir mit der Verwendung von samenfesten Sorten ganz entschieden entgegenwirken.“

Samenfeste Sorten? Verstehe ich nicht. Christoph ist geduldig mit mir: „Pflanzen sind dann samenfest, wenn aus dem von ihnen gewonnenen Samen Nachkommen mit den gleichen Eigenschaften der Elternpflanze gezogen werden können. Durch die Nachzucht passt sich das Saatgut dann den vorherrschenden Bedingungen an, es entwickelt sich quasi mit. Hybridpflanzen verlieren bei der Nachzucht ihre positiven Eigenschaften und können nicht einfach selbst nachgezogen werden, aber ihre Nutzung ist sehr ertragreich, deshalb liegt das Monopol bei den großen Konzernen, die im Prinzip den Daumen auf unsere Biodiversität halten. Wir sind der Meinung, dass Hybridsorten deshalb gesellschaftlich unsere Ernährungssouveränität gefährden.“

OK, das habe ich jetzt verstanden. Ich frage die beiden, was die Alternative ist. „Wir kaufen zu 99% Saatgut in Bingenheim in der Wetterau. Da haben wir Glück, weil die Bingenheimer Saatgut AG einer der wenigen Händler für samenfeste Sorten in Deutschland ist – direkt bei uns um die Ecke.“

„Und woher bekommen die Bingenheimer ihre samenfesten Sorten?“ frage ich nach. „Die haben Partnerbetriebe in ganz Deutschland, die die Kulturen vermehren. Das heißt, Betriebe, die samenfeste Sorten anbauen, aber nicht als Esspflanze ernten, sondern sie schießen lassen. Die Samen werden dann aus der Blüte geerntet, getrocknet, gereinigt und gehen dann nach Bingenheim, um dort in die jeweilige Verpackungseinheit kommissioniert zu werden.“

Samen per Post

Jetzt ist es mir auch klar. Aus Bingenheim kommt das Saatgut per Post zur Kooperative, z.B. für Radieschen, Mangold, Zuckermais, Tomaten, etc.

Christoph illustriert: „Letztes Jahr haben wir von Bingenheim samenfeste Tomatensorten gekauft, gepflanzt und die Samen für dieses Jahr haben wir letztes Jahr selber angezogen – und wieder Wege gespart!“ Silas ergänzt selbstkritisch: „Allerdings muss man dabei beachten, dass samenfeste Sorten nur etwa die Hälfte der Ernte ergeben können, sodass die Kosten schwierig zu handhaben sind. Um wirtschaftlich arbeiten zu können, mischen wir auch hybride Sorten bei, um Ertrag und Toleranz sicherzustellen. Mit Hybriden kann man Tomaten außerdem auch früher und später ernten. Hybride Sorten sind sozusagen die eierlegenden Wollmilchsäue.“

Und woher kommen die hybriden Sorten? Christoph erklärt: „Die bekommen wir in der Regel als Jungpflanzen vom Bioland Jungpflanzenbetrieb Natterer aus Vaihingen-Enz bei Stuttgart. Der bekommt z.B. seine Samen aus Holland, Belgien oder Deutschland und zieht damit die Jungpflanzen an.

Die kommen dann per LKW auf einer Liefertour zu unserem Kooperationspartner Eichwaldhof. Dort holen wir mit dem Gemüse, das wir dazukaufen, zwei- bis vierwöchentlich Jungpflanzen ab.“ Cool, dann entstehen da ja auch keine neuen Wege, denn bei den Kooperationsbetrieben werden ja sowieso Produkte für die Ernteanteile abgeholt. Man merkt den beiden an, dass sie sich viele Gedanken machen, wie sie die losen Enden unserer Ernährungsindustrie wieder menschlich, gesund, gemeinschaftlich und selbstbestimmt zusammenfügen können.

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