Berufsbegleitend Promovieren – Von der Idee zur fertigen Doktorarbeit in 7 Jahren – Teaminsight von Jaya
13. Oktober 2022
Jaya Bowry
Seit ein paar Wochen zieren nun zwei Buchstaben meine E-Mail-Signatur. Tatsächlich habe ich es nach vielen Jahren nun geschafft meine Doktorarbeit zu beenden und den ganzen Rattenschwanz, der damit zusammenhängt zu bewältigen (zumindest fast). Auch wenn es nach einer langen Zeit und nach langen Phasen des Nichtstuns oder Aufschiebens klingt, hatte ich wenige Zeiten, zu denen ich mein Dissertationsprojekt habe ruhen lassen. Ich habe berufsbegleitend promiviert, d.h. ich habe mindestens 50 %, zeitweise auch mehr in meinem Job gearbeitet. Die Statistiken sprechen, wie ich mir habe sagen lassen, wohl nicht für diese Art des Promovierens – die Abbrecherquote ist enorm. Eine Promotion fällt in den meisten Fällen in einen Lebensabschnitt, in dem viel passiert: Berufseinstieg, berufliche Weiterentwicklung, Investitionen und eben auch Entscheidungen für oder gegen eine Familie. Letzteres war bei mir zutreffend. Ich hatte zwar einen Großteil meiner Arbeit bereits beendet als mein Sohn auf die Welt kam, aber die sehr umfassende (und von mir komplett unterschätzte) Finalisierung fiel in eine Zeit, zu der mein Sohn wenige Wochen bzw. Monate alt war.
Warum habe ich mich für eine Doktorarbeit entschieden?
Nun, diese Frage habe ich mir auch oft gestellt. In manchen Lebensphasen mehr und weniger. Die Idee schwirrte stets in meinem Kopf herum, nachdem mein späterer Doktorvater und damaliger Betreuer meiner Magisterarbeit (ja, das gabs früher mal) mir angeboten hat auf ihn zuzukommen sollte ich je gewillt sein zu promovieren. Als ich merkte, dass ich neben meinem damaligen Job noch eine andere Herausforderung suchte, habe ich mich dafür entschieden. Ich arbeitete zu der Zeit ich in der anwendungsorientierten Wissenschaft und in bundesweiten Forschungsprojekten. Das fand ich großartig, hatte aber auch Lust mal wieder richtige Grundlagenforschung mit einem selbst gewählten Thema zu betreiben und mir viel, viel Zeit dafür zu nehmen… Dass ich so viel Zeit brauchen würde, habe ich eher nicht gedacht.
Würde ich es wieder machen?
Vielleicht ja, vielleicht nein. Manchmal frage ich mich schon: Wozu das Ganze? Eine Doktorarbeit kostet enorm viel Zeit und Geld. Selbst in der Wissenschaft führt ein Titel nicht automatisch zu einem besseren Gehalt. Ich glaube ich brauche noch ein bisschen Zeit, um sagen zu können, ob es sich wirklich gelohnt haben wird. Oder die Frage ist in Zukunft vielleicht einfach nicht mehr wichtig.
Na, aber worum ging es denn nun in der Doktorarbeit?
Um Bratwürste und Fußball. „Hä? Wirklich?“ Das habe ich oft gehört, wenn ich von meiner Arbeit erzählte. Ich habe Kulturanthropologie studiert, die auch die Wissenschaft vom Alltag genannt wird. Dort werden unhinterfragte Alltagshandlungen beleuchtet. Und weil der Alltag ja Alltag ist, wird er selten hinterfragt und klingt für viele schon mal gar nicht nach einem Thema, dass sich für eine wissenschaftliche Untersuchung eignet. Hier also ein kurzer Anriss, worum es in meiner Arbeit geht.
Beim Speisenangebot in deutschen Fußballstadien dominieren Bratwurst und Bier das Bild. Woher kommt diese Verbindung von Speise und Event, dass die Wurst beim Fußball sogar als Fußball- oder Stadionwurst betitelt wird? Zwar bestehen neuere vegetarische und vegane Alternativen, doch sind diese meist noch ein Nischenprodukt. Welche Aspekte bestimmen eigentlich Angebote, Nachfrage und vor allem Verzehrentscheidungen im Stadion?
Diese Studie untersucht das Essverhalten von Fußballfans in deutschen Stadien. Es werden die verschiedenen Bedeutungsebenen von Nahrungsmitteln und Getränken am Beispiel der Stadionverpflegung und somit im Rahmen eines kommerzialisierten Großevents aufgezeigt. In ethnografischen Untersuchungen vor Ort wurden Symboliken und Narrative von Speisen und Getränken ebenso untersucht wie Aspekte von Konsum und Ernährung, Identifikation und Zwänge einer modernen Freizeitgestaltung, Rituale und Traditionen sowie ökologische Nachhaltigkeit und Gesundheit.
Die Arbeit von knapp 300 Seiten kann man übrigens beim wunderbaren Waxmann Verlag erwerben 😉 Und dort kann man auch nachlesen, warum ich mich gerade für diesen Forschungsbereich entschieden habe.
Wie fühle ich mich jetzt?
Mein Partner meinte neulich, dass er mich nicht ohne Doktorarbeit kennt. Ich bin froh und erleichtert, dieses Kapitel in meinem Leben nun abgeschlossen zu haben. Das Schreiben und Recherchieren hat mir eigentlich bis zuletzt Freude bereitet, aber auf das sich Zerteilen zwischen Beruf, Familie und Doktorarbeit kann ich gut und gerne verzichten. Es ist eine Herausforderung weniger, die ich jetzt im Leben habe. Und langweilig wird mir definitiv nicht. Dazu habe ich viel zu viele spannende Projekte, die bei Lust auf besser leben auf mich warten.
Liebe Grüße
Eure Jaya
Jaya ist eine echte Superheldin. Die (bald) promovierte Kulturanthropologin ist ebenso Expertin in Sachen nachhaltiger Konsum und Ressourcenschutz wie sie mit links als Eventmanagerin Konferenzen organisiert oder Konzepte strategisch entwickelt und umsetzt. Mit Lust auf besser leben ist sie schon seit Jahren im Kontakt und seit 2019 endlich fester Teil des Teams.
Ihre strukturierte Art zu arbeiten und parallel mit vollem Durchblick – gefühlt unendlich – viele Projekte zu koordinieren beeindrucken das gesamte Team.
Die frisch gebackene Mutter sagt, was sie denkt und ist eine echte Schafferin. In ihrer Freizeit philosophiert Jaya gerne über Ernährung im Fußballstadion und spielt Volleyball. Im Herzen hin- und hergerissen zwischen Frankfurt und Bad Nauheim lebt sie aktuell in der schönen Wetterau – wir vermissen sie schon in der Stadt am Main. Sie hat im Fach Kulturanthropologie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz zu (nachhaltigem) Ernährungsverhalten in Fußballstadien promoviert.