Alles Pappnasen. Über Begegnungen im Netz und anderswo. Team Insights 2021-16

VERÖFFENTLICHT

5. August 2021

ÜBER DEN AUTOR
Svenja Flach
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Neulich bei der Lust auf besser Leben gGmbH … 

Alles Pappnasen. Über Begegnungen im Netz und anderswo.

Kürzlich besuchte ich online eine Veranstaltung der Frankfurter Rundschau im Haus am Dom. Zu Gast war Annalena Baerbock. Von ihrer entspannten Präsenz und Präzision war ich beeindruckt und überrascht, aber darum soll es hier nicht gehen. In den sogenannten Sozialen Medien bin ich eigentlich nie unterwegs. Weniger, weil ich diese Form der Kommunikation ablehne, sondern eher weil ich die durchaus unterschiedlichen Formate von Facebook bis Instagram und Anderen einfach uninteressant finde. Kontakt findet für mich analog und gezielt persönlich statt. Und natürlich habe auch ich mitbekommen, dass der Umgangston – zumal derjenige ohne Klarnamen – oftmals kein Kindergeburtstag ist. Obwohl: da gibt es Kindergeburtstage … aber das nur nebenbei.

Die Kommentare unter dem Youtube-Video dieser Veranstaltung deckten wie zu erwarten die ganze Bandbreite der Bewertungen ab. Die Mehrzahl der kritischen Kommentare bewegte sich jedoch in der Liga „ekelhaftes Geschleime“, „wiederliche Regierung“ (?), „die Bearbock gibt Deutschland den Rest“. Für die jeweilige Rechtschreibung sind – eigentlich überflüssig zu erwähnen – die betreffenden Autor:innen verantwortlich. Ich weiß, dass das noch deutlich schlimmer geht. Allerdings hatte ich kurz zuvor im Fernsehen ein Interview mit Armin Laschet gesehen und musste an (nicht nur) meine mündlichen Auslassungen dazu denken. Unsere Bandbreite reichte von „Pappnase“ bis zu dem urfrankfurter Stereotyp „Alles Arschlescher“ und bildet damit die Gesamtperformance nur unvollständig ab. Sicherlich würde ich sowas nicht schriftlich von mir geben – und anonym natürlich schon garnicht. Aber wo genau liegt der Unterschied zu den oben genannten Kommentaren im Netz? Gibt es überhaupt einen?

Mit diesen Fragen landen wir bei der Betrachtung meines Lieblingsbegriffs „Respekt“. Können das „ekelhafte Geschleime“ oder die „Arschlescher“ gegenseitigen Respekt widerspiegeln? Dies wiederum führt uns zum Einen zu deutlich spür- und lesbaren Temperamentsunterschieden der Leser:innen und zum Anderen zum Status der Veröffentlichung. Auf der Ebene rein privater – also nichtöffentlicher – und zudem mündlicher Äußerungen soll nach meiner Ansicht keine Selbstzensur stattfinden. Im Zweifelsfall kann das natürlich im Freundes- und Familienkreis zu kontroversen Gesprächsverläufen führen. Das wäre durchaus wünschenswert. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die oben genannte Begriffe bezw. allgemein Schimpfworte auch nicht in verärgertem oder erregtem Zustand benutzen würden. Dazu gehöre ich eindeutig nicht, und das finde ich in Ordnung. Respektvoller Umgang mit dem Subjekt meines Ärgers manifestiert sich in sachlicher Auseinandersetzung in der direkten oder der öffentlichen Begegnung, nicht im Verzicht auf Überdruckventile im engen privaten Kreis.

Damit sind wir beim Status der Veröffentlichung. Für die veröffentlichte Meinung sollte nach meiner Ansicht ein Grundkonsens von Spielregeln gelten. Das beginnt bei der auch aktuell umstrittenen Frage der Klarnamen. Mir ist kein sinnvoller Grund bekannt, der für die veröffentlichte Meinung ein Pseudonym erfordert. Die selbstverständlich bestehende Gefahr für freie Meinungsäußerung in autoritären Gesellschaften ist bei uns definitiv kein Thema. Bestünde die veröffentlichte Meinung nur aus Beiträgen mit Klarnamen, fiele schon mal ein Großteil des ja möglicherweise justiziablen Hate Speechs nach und nach weg. Verschlüsselte Kommentare hierzulande deuten einfach nur hin auf Bequemlichkeit oder Unfähigkeit, sich erst nach dem Überdenken eigener Impulse sachlich und respektvoll zu äußern.

Sachlich heißt für mich in diesem Zusammenhang, mich zu einer abweichenden Meinung nicht nur emotional, sondern auch im Detail inhaltlich und ohne Beleidigung zu äußern. Respektvoll wäre beispielsweise die Grundannahme, andere Meinungsäußerungen ernst zu nehmen und zumindest in Teilaspekten für bedenkenswert zu halten. Kurz gesagt: Adressat:innen als prinzipiell gleichberechtigt anzusehen. Mir ist klar, dass diesen Spielregeln je nach eigenem Temperament und persönlicher Präferenz des Gegenübers Grenzen gesetzt sind – aktuelle Beispiele Querdenker, Reichsbürger, Faschisten und andere mehr. Ich kenne auch meine eigene Schmerzgrenze. Daher: eine Entschuldigung kann gegebenenfalls auch nicht schaden und unter Umständen überraschende Reaktionen auslösen. Und bestimmte Konstellationen – siehe Beispiele oben – lassen sich nicht harmonisieren. Es gibt Gegensätze, die muss man/frau einfach aushalten. Möglichst in gegenseitigem Respekt.

Also bleibt nachdenklich und respektvoll, auch wenn Ihr was nicht akzeptieren könnt.

Euer Jürgen

Svenja Flach
Author: Svenja Flach

Hi, ich bin Svenja. Ich mache zurzeit mein FÖJ bei Lust auf besser leben und kümmere mich um die Veröffentlichung unserer Events und unseres Blogs sowie den Newsletter. Des Weiteren bin ich für unseren Instagram- und Facebook-Account zuständig und unterstütze das Team bei einigen Projekten.

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