Der Tag, als ich ins Tradwife-Rabbit-Hole fiel | Team Insight von Nathalie

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19. Juni 2024

ÜBER DEN AUTOR
Nathalie Kohlert
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Hätte man mich noch vor einem Jahr gefragt, ob ich empfänglich für sogenannten „Tradwife-Content“ („Tradwife“ = „Traditional Wife“ = Frauen, die traditionelle Geschlechterrollen leben und sich um Haus und Kinder kümmern) auf Instagram und Co. sein könnte, hätte ich verächtlich abgewunken. Inzwischen hat mich der Algorithmus dabei erwischt, wie ich einige dieser Videos teilweise oder sogar ganz angeschaut habe und mein Feed wird überschwemmt von Frauen, die Brot backen, die Wohnung dekorieren, Gemüsebeete anlegen und aufwändige Gerichte kochen.

„Wo ist der Reiz?“

„Wo ist der Reiz?“, fragen sich viele (wie auch ich noch bis vor kurzem). Die Videos zeigen Frauen dabei, wie sie das machen, was man auch täglich tut: Kochen, Putzen, sich um Haus und Garten und natürlich um die Kinder kümmern. Anders als man selbst, tun sie das aber nicht abgehetzt, ungeduldig und möglichst pragmatisch, sondern mit Ambition und Leidenschaft, gut gelaunt und voll gestylt. Erst ist man irritiert, gleichzeitig fühlt es sich seltsam beruhigend an, anderen Menschen dabei zuzusehen, wie sie dieselben Aufgabe erledigen, die auch den eigenen Alltag bestimmen. Und auf einmal hat man das Gefühl, dass die Hausfrauen-Rolle, in die man selbst irgendwie reingerutscht ist und in der man sich oft unsichtbar und wertlos fühlt, Ehrgeiz, Stolz und Erfüllung wecken kann – ein gutes Gefühl! Plötzlich ist man nicht mehr die „langweilige Mama/ Hausfrau“, sondern Teil einer Lifestyle-Community. Man wusste vorher nicht, dass man das gerne sein möchte, aber es fühlt sich erstaunlich gut an.

Was ist dann das Problem

Was ist dann das Problem mit „Tradwife-Content“? In erster Linie natürlich, dass der Alltag der Frauen auf Social Media inszeniert ist und nur wenig mit einem normalen Familienalltag zu tun hat. Eigentlich offensichtlich – wenn man allerdings zu tief in das „Rabbit Hole“ der perfekten Hausfrauen eintaucht, erscheint es auf einmal normal, sein morgendliches Müsli selbst im Ofen zu rösten und eine allzeit auf Hochglanz polierte Wohnung zu bewohnen. Was in einem Moment auf eine seltsame Art und Weise inspirierend und motivierend wirken kann, löst im nächsten Moment Leistungsdruck aus, mit komplett unrealistischen Standards Schritt zu halten.

Der Aspekt, der in meinen Augen mit am problematischsten ist, ist, dass durch den Lifestyle der Tradwifes die totale (finanzielle) Abhängigkeit der Frau von ihrem Mann propagiert wird. Jetzt kann man argumentieren, dass berühmte Vertreterinnen der Szene nie in Worte gefasst haben, dass die (finanzielle) Abhängigkeit vom Ehemann erstrebenswerter Teil des Tradwife-Lifestyles ist. Darüber hinaus sind die Ladies selbst auch offensichtlich nicht abhängig von ihren Männern (mit Millionen von Followern und Unternehmen, die für Werbepartnerschaften Schlange stehen, lässt es sich sicherlich gut leben). Wenn man allerdings den Aufwand, der hier ins „Homemaking“ also ins Kochen, Putzen, Einkaufen, Dekorieren, Quality-Time mit den Kindern, Körperpflege und Styling gesteckt wird, auch nur ansatzweise ernst nimmt, kann das für eine Frau nur bedeuten, jede Minute ihres Tages in ihre Rolle als Hausfrau, Ehefrau und Mutter zu stecken. Zeit für Erwerbsarbeit bleibt sicherlich nicht.

Wieso wir einen weiten Bogen um die Tradwife Ecke machen sollten

Es gibt noch einige weitere gute Gründe, einen Bogen um die Tradwife/ Homemaking Ecken auf Social Media zu machen (hierzu hat auch die taz bereits mehrere Artikel veröffentlicht). Dasselbe gilt übrigens auch für einen Großteil des Contents, der unter dem Hashtag #Momsofticktock verbreitet wird. Trotzdem hat der Gedanke „was würde Nara Smith jetzt tun“ in den Momenten, in denen ich mich vor dem Kühlschrank zwischen Fertigpizza und irgendwas Selbstgemachtem mit Gemüse entscheiden musste, meine Familie bereits vor einem ungesunden Abendessen bewahrt.

Alles Liebe

Eure Nathalie

 

Bild von Alana Jordan auf Pixabay

Nathalie Kohlert
Author: Nathalie Kohlert

Nathalie ist ein echtes Multitalent. Seit Mitte 2022 arbeitet sie bei uns im Team und begeistert mit ihrer Fähigkeit, komplexe Themen schnell zu durchblicken und charmant Fortschrittspotenziale anzustupsen. Nathalie hat einen B.A. „Sozialwissenschaften und interkulturelle Beziehungen“ und studiert aktuell im Master „Interkulturelle Kommunikation und Europastudien“. Aus ihrer beruflichen Vergangenheit bringt sie nicht nur Erfahrung im Citymarketing Fulda und die Tätigkeit als Koordinatorin des BNE Netzwerks Osthessen mit, die Powerfrau und Mutter hat auch neben dem Studium zusammen mit Menschen aus aller Welt ein Kulturzentrum in Fulda und einen dazugehörigen Verein gegründet. Respekt und Interesse für und an ihren Mitmenschen, Vielfalt, Toleranz und Gelassenheit sind Werte, die sie hochhält und die sie auch bei ihrer Arbeit bei Lust auf besser leben einbringt.

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Author: Nathalie Kohlert

Nathalie ist ein echtes Multitalent. Seit Mitte 2022 arbeitet sie bei uns im Team und begeistert mit ihrer Fähigkeit, komplexe Themen schnell zu durchblicken und charmant Fortschrittspotenziale anzustupsen. Nathalie hat einen B.A. „Sozialwissenschaften und interkulturelle Beziehungen“ und studiert aktuell im Master „Interkulturelle Kommunikation und Europastudien“. Aus ihrer beruflichen Vergangenheit bringt sie nicht nur Erfahrung im Citymarketing Fulda und die Tätigkeit als Koordinatorin des BNE Netzwerks Osthessen mit, die Powerfrau und Mutter hat auch neben dem Studium zusammen mit Menschen aus aller Welt ein Kulturzentrum in Fulda und einen dazugehörigen Verein gegründet. Respekt und Interesse für und an ihren Mitmenschen, Vielfalt, Toleranz und Gelassenheit sind Werte, die sie hochhält und die sie auch bei ihrer Arbeit bei Lust auf besser leben einbringt.