Nachhaltige Ernährung in Landkreisen und Kommunen – warum?
30. November 2023
Gesina Schalenberg
Argumentationshilfen für diejenigen, die das Thema in Kommune und Landkreis vorantreiben möchten
Das Thema Ernährung ist emotional und für viele Menschen sehr persönlich. Schließlich essen wir alle mehrmals täglich und verbinden Lieblingsspeisen mit Geschmack und Gerüchen aus der Kindheit. Wir wollen selbstbestimmt essen, was uns guttut und zu unserem gesundheitlichen, moralischen oder seelischen Wohlbefinden beiträgt.
Über gesunde Ernährung wird viel in positiver Weise gesprochen. Die Debatte um eine nachhaltige Ernährung ist jedoch zuweilen problematisch, da das Attribut der Nachhaltigkeit mittlerweile ein polarisierender Begriff ist. Dieser Artikel soll eine inhaltliche Handreichung für Akteure aus Kommunen und Landkreisen sein, um Argumente für die Überzeugungsarbeit bei den verschiedensten Akteuren im Ernährungssystem abrufbar zu haben.
Argument 1: Klimawandel und Stellenwert von Ernährung
Über die Problematik des Klimawandels herrscht in der Wissenschaft Konsens. Wir müssen Treibhausgasemissionen reduzieren, um Folgen wie Extremwetterereignisse zumindest abmildern zu können. Steigende Temperaturen, Hitzestress sowie die Versorgungssicherheit von Wasser und Lebensmitteln sind künftige Herausforderungen, auch für Kommunen und Städte. Sowohl vonseiten der Bürgerinnen und Bürger als auch von der Bundespolitik wächst daher der Druck auf Kommunen und Städte, Klimaschutzziele zu entwickeln und zu verfolgen.
Treibhausgase fallen in verschiedenen Sektoren an. Was viele nicht wissen: Die Ernährung in Deutschland hat mit bis zu 15% pro Kopf einen hohen Anteil an den ausgestoßenen Emissionen und ist damit vergleichbar mit den Anteilen aus dem Bereich Heizen oder der Mobilität (BMUV 2020).
Den CO2-Ausstoß im Ernährungssektor anzugehen, kann also erheblich dabei unterstützen, die Klimaziele von Kommunen zu erreichen.
Es gibt diverse Möglichkeiten, die Ernährung nachhaltiger zu gestalten. Einige davon sind für die Reduktion von Treibhausgasen relevanter als andere. Die Bevorzugung pflanzlicher Lebensmittel trägt am meisten zur CO2-Reduktion bei. Danach folgen ökologisch erzeugte Lebensmittel und erst dann regionale und saisonale Speisen (vgl. Koerber 2014).
Eine kurzweilige Zusammenfassung zu den Auswirkungen der Ernährung auf unsere Umwelt und das Klima findet sich auf den Seiten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV 2020).
Argument 2: Ernährung und Gesundheit
Die sogenannte „Planetary Health Diet“ (https://www.bzfe.de/nachhaltiger-konsum/lagern-kochen-essen-teilen/planetary-health-diet/) bezeichnet eine Strategie für die Landwirtschaft und die Ernährung, die gleichzeitig die Ernährungssicherheit, Gesundheit und Nachhaltigkeit befördert. Interessant ist, dass eine nachhaltige Ernährung mit den aktuellen Empfehlungen für eine gesunde Ernährung weitgehend übereinstimmt! (siehe DGE-Empfehlungen: https://www.dge.de/gesunde-ernaehrung/nachhaltigkeit/planetary-health-diet/). Beispielsweise wirken ein reduzierter Fleischkonsum, die frische Verarbeitung und eine höhere Lebensmittelvielfalt bei Berücksichtigung von regionalen und saisonalen Lebensmitteln positiv auf die Gesundheit.
Argument 3: Fleisch und Fleischreduktion
Studien legen nahe, dass gerade in westlich geprägten Ländern der Fleischkonsum reduziert werden muss (BUND 2019) – aus Gründen der Gesundheit, aber auch der Nachhaltigkeit. Vielen Menschen liegt außerdem das Thema Tierwohl am Herzen, das sie in der Fleischproduktion verletzt sehen. Die wesentlich bessere Klimabilanz sowie gesundheitliche Aspekte sind Gründe für Kommunen und Landkreise, bei der Betrachtung nachhaltiger Ernährung auch das Angebot an tierischen Lebensmitteln in den Verpflegungseinrichtungen zu beachten.
Leider spaltet jedoch gerade das Thema Fleischverzehr die Menschen. Es gibt unterschiedliche Meinungen, die teils eher emotional statt wissenschaftlich fundiert sind. Eine Veränderung im eigenen Essverhalten wird als Bedrohung wahrgenommen und regelrecht politisiert. Das sind keine einfachen Voraussetzungen für Kommunen und Landkreise, das Thema intern und extern voranzutreiben.
Was helfen könnte: Bei den Fakten zu bleiben, dem Thema möglichst die Emotionalität zu nehmen und gleichzeitig das Problem zu benennen bzw. nichts zu beschönigen. Wenn es in den Kantinen der Kommune bzw. des Landkreises (zeitweise) kein oder weniger Fleisch mehr gibt, ist das keine Bevormundung, sondern ein Angebot zugunsten des Planeten und der Gesundheit. Jede Person kann den Rest des Tages theoretisch so viel Fleisch essen, wie es ihr beliebt. Besser wäre jedoch eine gute Informationskampagne, die Verständnis für eine fleischreduzierte Ernährung schafft, sodass sich eine Verhaltensänderung auch im Alltag durch Überzeugung durchsetzt.
Argument 4: Ernährungsbildung
Nicht jede Person hat die Zeit oder das Interesse, sich damit zu beschäftigen, was die Studienlage zur gesunden und nachhaltigen Ernährung sagt. Es gibt unterschiedliche Ansichten zum Thema Ernährung und hinzu kommen irreführende Informationen in den Medien wie beispielsweise Ernährungstrends, die alles andere als nachhaltig sind. Landestypische Küchen, die viel Fleisch beinhalten, machen das Problem nicht leichter.
Wenn Kommunen und Landkreise die Speisepläne in ihren Einrichtungen umgestalten, ist es somit wichtig, Verständnis für die Gründe und Vorteile dieser Umstellungen zu schaffen. Daher ist die Ernährungsbildung so wichtig: Es muss ein transparentes, niedrigschwelliges Angebot geschaffen werden, das alle Bevölkerungsgruppen mitnimmt und BürgerInnen befähigt, Entscheidungen auf der Basis von qualitativen Informationen zu treffen. Das gilt für PolitikerInnen und die kommunale Verwaltung, Caterer, Eltern in Schulen und Kitas sowie Kinder und Jugendliche.
Es gibt viele interessante und frei verfügbare Bildungsmaterialien im Netz. Durch sie kann eine hohe Zustimmung zu den Veränderungen erreicht werden.
Argument 5: Regionale Wirtschaftsförderung und resiliente Ernährungssouveränität
Kommunen und Landkreise haben ein Interesse daran, ihre regionalen Unternehmen zu fördern. Schließlich tragen diese vielfältig zur regionalen Wertschöpfung bei (GEORGE 2012, S. 21). Zu einer nachhaltigen Ernährung gehört unter anderem auch die Verkürzung von Lieferwegen, was nicht nur Emissionen einspart, sondern für die VerbraucherInnen auch die Frische der Produkte steigert (KULKE 2017, S. 80f.). Ein höheres Vertrauen der KundInnen in transparente, lokale Wertschöpfungsketten kann helfen, mit hochwertigen Produkten eine Wettbewerbslücke zu bedienen (Stockebrand 2012, S. 233). Genaue Absprachen und direkter Austausch zwischen Erzeugern und dem Handel bzw. VerbraucherInnen verringern Lebensmittelabfälle. Durch weniger Zwischenhändler verbleiben mehr Einnahmen bei den Landwirten (KULKE 2017, S. 80). Auch wenn nicht alle Unternehmen / Erzeuger im Umland biozertifiziert sind (dies ist häufig auch eine Kostenfrage), können die Produkte unter ökologischen Bedingungen produziert sein. Betriebe aus der Region haben oft mit großen Herausforderungen zu kämpfen, besonders als Klein- und Kleinstunternehmen. Die Integration in überregionale Wertschöpfungsketten und der gesteigerte Wettbewerb gehören dazu (KULKE 2017, S. 80). Wenn diese Betriebe gefördert werden und bereit sind, sich auf eine nachhaltige Lebensmittelproduktion einzulassen, kann dies zum Erhalt und zur Entstehung von Arbeitsplätzen führen.
Letztlich kann ein nachhaltiges lokales Ernährungssystem gegen internationale Krisen absichern, da durch eine verringerte Abhängigkeit von Lebensmittelimporten und eine größere Ernährungssouveränität langfristig die Grundversorgung sichergestellt wird (PENKER 2015, o.S.). Das wurde zuletzt in der Corona-Krise und während des Beginns des Ukraine-Krieges an Produkten wie Mehl oder Sonnenblumenöl deutlich.
Argument 6: Kostendeckung oder sogar -einsparung
Der Mythos, dass nachhaltige Ernährung immer höhere Kosten verursacht, hält sich hartnäckig. Tatsächlich zahlen VerbraucheInnen beispielsweise für Bio-Produkte oft leicht höhere Preise. In der Gesamtschau können durch nachhaltige Ernährungsweisen solche Mehrkosten aber (über-)kompensiert werden: Gemüse und Obst sind fast immer günstiger als Fleisch, durch reduzierte Verschwendung können Besorgungs- und Entsorgungskosten gespart werden und man kann in Mischkalkulationen gezielt teurere mit günstigeren Produkten kombinieren. Derzeit werden immer mehr Fördermittel von Bund und Land für die nachhaltige Umgestaltung lokaler Ernährungssysteme ausgegeben – hier kann die Chance genutzt werden, mit finanzieller Unterstützung vorteilhafte Veränderungen zu realisieren.
Argument 7: Schutz von Landschaft und Kulturgut
Die Art der Lebensmittelproduktion wirkt auf die Landschaft in der Region. Durch eine nachhaltige Bewirtschaftung können beispielsweise Wasser- und Bodenressourcen erhalten und Biodiversität gefördert werden. Traditionelle, nachhaltige Techniken, wie die Beweidung durch Schafherden oder die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu charakteristischen Regionalprodukten und Gerichten, können das Bild einer Region prägen. Dies kann sich vorteilhaft auf die derzeitige Situation auswirken, in der die Standardisierung der Lebensmittelprodukte das Bedürfnis der Menschen nach Traditionen und Heimat verstärkt (Stockebrand 2012, S. 216). Die regionale Identifikation der Bürgerinnen und Bürger sowie die gesteigerte Lebensqualität durch den Genuss nachhaltiger, regionaler Lebensmittel ist ein nicht zu unterschätzender Faktor (PENKER 2015, o.S.).
Solche Alleinstellungsmerkmale können auch touristisch zu Gunsten der Region vermarktet werden.
Fazit
Das Projekt „Nachhaltige Ernährung in hessischen Kommunen“, bei dem wir mit verschiedenen Akteuren aus Kommune und Landkreisen zusammenarbeiten haben, hat gezeigt, dass es nicht trivial ist, das Thema voranzutreiben. Die Mitarbeit ganz verschiedener Akteure aus der Region ist gefordert. Es gibt allerdings schon zahlreiche Beispiele aus verschiedensten Regionen, die zeigen, dass viel möglich ist. Wir hoffen, dass diese Handreichung einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, neue MitstreiterInnen für eine nachhaltigere Ernährung zu finden!
Quellen:
- STOCKEBRAND, N. (2012): Regionalmarketing am Beispiel von Lebensmitteln. In: George, W. & Berg, T. (Hrsg.) (2012): Regionales Zukunftsmanagement Bd. 6 Regionalökonomie. Lenerich: Pabst Science Publishers.
- KULKE, E. (2017): Wirtschaftsgeographie. 6. (= Grundriss Allgemeine Geographie). Paderborn: Ferdinand Schöningh.
- PENKER, M. & SCHLICH, E. (2015): Nachhaltigkeit durch Regionalität? Pro und Contra. In: Forum Wirtschaftsethik, (2015) 2.
- GEORGE, W. (2012): Regionale Wertschöpfung – Über die Wiederentdeckung einer bewährten Methode. In: George, W. & Berg, T. (Hrsg.) (2012): Regionales Zukunftsmanagement Bd. 6 Regionalökonomie. Lenerich: Pabst Science Publishers.
- Koerber, K. v. (2014): Fünf Dimensionen der nachhaltigen Ernährung und weiterentwickelte Grundsätze – ein Update. Ernährung im Fokus, 14, https://www.nachhaltigeernaehrung.de/fileadmin/Publikationen/aid_eif_Nachhaltige_Ernaehrung_Koerber_09-2014__Lit.pdf
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (2020): Mein Essen, die Umwelt und das Klima, https://www.bmuv.de/jugend/wissen/details/mein-essen-die-umwelt-und-das-klima
- BUND (2019): Weniger Fleischkonsum ist besser für Gesundheit und Umwelt, https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/weniger-fleischkonsum-ist-besser-fuer-gesundheit-und-umwelt/
erstellt im Rahmen des Projektes „Nachhaltige Ernährung in hessischen Kommunen: ein Projekt zur Sensibilisierung, Vernetzung und Multiplikatorengewinnung“
durchgeführt von der Lust auf besser leben gGmbH
im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz