Wie Umweltfreundlich sind Atomkraftwerke? EU-Taxonomie (1/3)
15. Februar 2022
Henrik Brauel
Die EU-Kommission hat vor ca. einer Woche eine umstrittene Entscheidung getroffen. Strom aus Erdgas und Atomkraft gilt als nachhaltig. Das soll vor allem Investitionen in nachhaltige Energien fördern. Die Taxonomie-Politik wird jedoch weitreichend kritisiert. Neben Österreich stellen sich auch andere EU- Länder gegen die Einstufung von Gas und/oder Atomkraft als nachhaltig. Auch private Unternehmer:innen, Umweltschützer:innen, Journalist:innen oder Politiker:innen kritisieren die Entscheidung.
„Wenn ich eine Note vergeben sollte, ist es eine sechs – weil es eine sieben nicht gibt“, zitiert die GLS Bank (ein/e Botschafter:in von uns) ihren Vorstand Thomas Jorberg zur neuen EU-Taxonomie. „Atomenergie integriert in eine grüne Geldanlage ist ungefähr so wie, wenn man beim EU-Biosiegel sagen würde: Also, für eine Übergangszeit kann da gerne auch noch Glyphosat gespritzt werden.“
Thomas Jorberg kritisiert den Umgang mit nachhaltigen Geldanlagen und bezeichnet den Vorstoß als Greenwashing. Die Kommission begründet ihren Vorstoß mit Versorgungssicherheit und einer Übergangszeit. So seien Atom und Gasenergie in einer Übergangszeitraum und unter bestimmten Sicherheitsmaßnahmen nötig. Also möchte ich diesem Thema eine Artikelreihe widmen. In insgesamt drei Artikeln werde ich mich erst der Atom- und Gasenergie widmen und abschließend eine Bewertung vornehmen. Also, was ist dran, an der klimafreundlichen Atomkraft?
Atomkraft in Deutschland
Deutschland ist ein Kohleland. Rund 166,3 Tonnen Braunkohle wurde aus den inländischen Kohleminen geschürft. Riesige Bagger, die Quadratkilometer von Land und mehrere Dörfer dem Erdboden gleichmachen. Ungefähr 300 Ortschaften wurden dem Erdboden gleichgemacht und 120.000 Menschen umgesiedelt. Flächen von insgesamt 1.000 km² wurden zerstört. In Vergleich zu anderen Energieträgern erzeugt Braunkohle bei der Energiegewinnung die meisten CO2-Emissionen. Kein Wunder, warum Braunkohle in Anbetracht der Klimakrise für die meisten nicht zukunftsfähig ist.
Für viele steht fest, wir müssen von der Braunkohle weg und hin zu erneuerbaren Energien. Jedoch sind vor allem Windkraftanlagen und Solaranlagen nicht nur mit hohen Kosten verbunden, sondern auch mit einem großen Bürokratischem Aufwand. Viele Investor:innen halten erneuerbare Energien nicht nur für zu zeit-, sondern auch für zu kostenintensiv. Klar ist: Ohne Privatinvestitionen sieht die Bewältigung der Klimakrise schlecht aus. In Deutschland galten Atomkraftwerke bis 2011 als sicher. Nach der Katastrophe von Fukushima am 11. März 2011, bei der ein Atomkraftwerk durch die direkten einwirken eines Tsunami erst instabil wurde und dann detoniert ist, gab es in Deutschland ein Umdenken. Ex-Kanzlerin Merkel verkündete noch am 30.05.2011 den deutschen Atomkraftausstieg. Begründet wurde der Ausstieg mit der Gefahr der Strahlung, dem hohen Detonationsrisiko und dem Problem der Endlagerung.
Wie emissionsneutral ist Atomkraft?
Atomkraft wird häufig als umweltfreundlich dargestellt. Vor allem Polen und Frankreich profitieren von dem Vorstoß der EU-Kommission. Doch wie emissionsarm ist Atomkraft wirklich. Nach einer Veröffentlichung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages im Jahr 2019 liegt die Atomkraft mit ca. 27 Gramm CO2-Emissionen pro Kilowattstunde erzeugtem Strom im positiveren Teil der Stromerzeugung. Damit liegt sie deutlich unter der herkömmlichen Braunkohle, mit ca. 1.000g CO2-Emissionen pro Kilowattstunde und sogar unter Photovoltaik (Sonnenenergie) mit ca. 89g CO2-Emissionen pro Kilowattstunde. Nur Off- und Onshore Windparks sind rein von den Emissionen pro Kilowattstunde, mit 23g pro Kilowattstunde, klimafreundlicher. Nach Zahlen der „Deutschen Welle“, die den gesamten Lebenszyklus des Atomstroms berücksichtigt (Abbau bis Lagerung) liegt jedoch der Atomstrom mit ca. 117 Gramm pro Kilowattstunde deutlich über Photovoltaik.
Ist Kernkraft also nachhaltig?
Kernkraft ist also emissionsärmer als die meisten herkömmlichen Energiegewinnungsarten. Ist sie also nachhaltig? Das Problem sind da dabei nicht die CO2-Emissionen, sondern der Atommüll. Denn im Unterschied zu den anderen Energiegewinnungsmaßnahmen produzieren Atomkraftwerke eine Menge an radioaktiven Müll. Dieser kann bei schwach- und mittelradioaktiven Abfällen bis zu 30.000 Jahre strahlen, und bei hochradioaktiven bis zu 200.000 Jahren noch die Strahlungsintensität von natürlichem Uran haben. Die Frage stellt sich also, wo soll man Atomabfälle sicher lagern? Denn nicht nur das Gesundheitliche Risiko ist ein Problem, sollte der Atommüll in die falschen Hände gelangen, könnte er ein großes Problem darstellen. „Herkömmliche“ radioaktive Vergiftungen und Terroranschläge. Atommüll besteht in Teilen aus hochangreichertem Uran, das auch zum Bau von Atombomben verwendet wird. Radioaktivität ist, wenn falsch gelagert, eine starke Belastung für die Umwelt. Pflanzen wie Bäume sterben ab, Tiere erleiden häufig Schäden an Organen. Bei Menschen steigt nicht nur das Krebsrisiko oder das Infektionsrisiko bei Krankheiten, sie können sich ab einer gewissen Strahlenbelastung auch mit der „Strahlenkrankheit“ infizieren, die im Menschen je nach Höhe der Strahlenbelastung starke Reaktionen wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Durchfall bis zum sofortigen Tod hervorrufen. Expert:innen stellen sich demnach die Frage, wo sie den hochradioaktiven Atommüll sicher Lagern können.
Das Problem mit dem Endlager
Wenn es um die Frage der Lagerung geht, kommt man um die Begrifflichkeit „Endlager“ nicht herum. Ein Endlager ist ein finales Lager für Atommüll, das nicht nur undurchlässig für Strahlung ist, sondern auch sicher vor Plünderung. Das Problem: Aufgrund der langen Strahlenintensität muss ein Endlager nach Definition der Bundesregierung bis zu eine Millionen Jahre sicher sein. In Frage kommt ein Endlager mehrere 100 Meter unterirdisch, bevorzugt in Tongestein, Salzgestein und Kristallgestein (unteranderem Granit). In Deutschland gibt es 90 mögliche Standorte für ein „sicheres“ Endlager. Diese sind über ganz Deutschland verteilt. Jedoch ist die Bereitschaft, ein Atomendlager bei sich aufzunehmen, in den Ländern eher gering. Ein weiteres Problem ist es sicherzustellen, dass das Endlager für diesen langen Zeitraum (1.Millionen Jahre) als Endlager giftiger radioaktiver Stoffe erkennbar und verschlossen bleibt.
Unsere Schrift gibt es (früheste Funde) seit mehreren tausend Jahren und sie hat sich seitdem immer schneller und fundamentaler verändert. Wie gehen wir sicher, dass Generationen, die in weit entfernten Zeiten leben werden, verstehen, was wir auf Warnhinweise schreiben? Wir müssen uns vorstellen wie unsere Sprache und Schrift in einer Millionen Jahren wirken könnte, und wenn wir die uns eine der ältesten, bekannten Schriften angucken, sind das die Hieroglyphen der Antiken Ägypter. Viele dieser ägyptischen Schriftzeichen sind bis heute noch nicht entschlüsselt und die, die wir entschlüsseln konnten, müssen nicht die Bedeutung haben, die wir ihnen zuordnen.
Finnland ist am weitesten, was das Bauen eines „sicheren Endlagers“ betrifft. So soll an der Westküste des Landes (nördlich der Stadt Rauma) in zwei Jahren ein Endlager für schwach- bis mittelradioaktive Abfälle und in einem anderen Teil ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb gehen.
Fazit
Atomkraft ist umstritten. Neben den Vorteilen wie den geringen CO2-Emissionen ist Atomkraft nach Beurteilung der Bundesregierung eine unsichere und gefährliche Technologie. Jedoch stellen sich Befürworter:innen gegen diese Einschätzung und argumentieren mit der Sicherheit der deutschen Atomkraftanlagen. „Hätte an Stelle von Tschernobyl und Fukushima, da so ne Anlage wie „Isa 2“ oder „Grohnde“ gestanden, dann würden wir wahrscheinlich die Ortsnamen Tschernobyl und Fukushima gar nicht kennen. Dann wären nämlich diese Unfälle gar nicht passiert“, sagt Anna Veronika Wendland (Atomkraft-Befürworterin (im Interview mit der Deutschen Welle).
Jedoch steigt Deutschland als erste Industrienation Ende dieses Jahres endgültig aus der Atomkraft aus, was nicht zuletzt auf die Risikoeinschätzung der Bundesregierung und das Problem der Endlagerung zurückzuführen ist. Die Debatte, ob Atomkraft wieder zurückgeholt werden sollte, hat in der deutschen Debattenkultur kaum noch Relevanz.
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Hallo, ich bin Henrik. Ich mache zurzeit mein Jahrespraktikum bei Lust auf besser leben und kümmere mich primär um den Webguide, Newsletter und das Botschafter:innenprogramm. Dabei arbeite ich mich gerne in neue Themen ein und veröffentliche sie für Euch in Form von informativen Artikeln im Blog.