Betten von Innen: Welche globalen Lieferketten stecken drinnen?

VERÖFFENTLICHT

13. Oktober 2021

ÜBER DEN AUTOR
Eva Howell
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Hinter der Ladentheke – Interview mit Eva Bovet von Betten Raab

Unsere Mission, mehr über globale Lieferketten und die Herausforderungen der Einzelhändler:innen herauszufinden, bringt mich zu Eva Bovet. Eva ist Geschäftsführerin des Familienbetriebs „Betten Raab“.

In der Filiale Schillerstraße in Frankfurt, der Filiale „Zeit fürs Bett“ in Karben und im Onlineshop des Familienunternehmens werden Produkte rund um den Schlaf und zum Wohlfühlen verkauft. Von Möbelstücken, wie etwa massiven Betten, über federnde Lattenroste bis hin zur weichen Bettwäsche gibt es dort alles, was man zum Schön-Schlafen und Wohlfühlen gebrauchen kann. Gerade Wohlfühlen ist für Eva und ihren Familienbetrieb nicht nur beim Schlafen wichtig, denn auch mit der Kaufentscheidung sollen sich Kund:innen langfristig wohl fühlen. Dies geht für Eva auch einher mit ökologischer und sozialer Verantwortung:

„Nachhaltigkeit ist für uns ein riesiges Thema, welches wir schon immer in jede unserer Entscheidungen einfließen lassen. Dabei geht es uns vor allem um Qualität. Wir verkaufen nur Produkte, die hochwertig und langlebig sind, denn wir haben den Anspruch und die Verantwortung der Gesellschaft und Umwelt gegenüber keine Wegwerfprodukte zu vertreiben.“ 

 

Kurze Wege eines Produktes nicht immer so kurz: Oft verbergen sich globale Lieferketten.

Als ich Eva zu Beginn des Gesprächs frage, welche Produkte von ihr denn überhaupt eine globale Lieferkette haben, entgegnet sie mir mit einem klaren „Fast alle!“. Mit dem Anspruch, unnötige Transportwege zu vermeiden, verkauft „Betten Raab“ viele Produkte aus der Region, Deutschland oder Europa. Beispielsweise bezieht Eva die Federn für Daunen aus Deutschland, sie kennt die Bedingungen der Gänsehaltung und erkennt an der Feder, ob das Tier gut gehalten wurde. Auch wer bei „Betten Raab“ Lattenroste kauft, kann sich der kurzen Wege des Holzes sicher sein: Es kommt von einem Lieferanten aus Baden-Württemberg. Auch andere Hölzer für andere Möbel kommen zumindest aus Europa, erzählt mir Eva.

In unserem Interview sprechen wir über eine Tatsache, die es in der Betten-Branche, aber auch in anderen Branchen, zu bedenken gibt: Produkte, wie Betten, Matratzen oder auch Bettwäsche bestehen oft aus Einzelteilen. Eine Bettwäsche besteht auch aus Reisverschlüssen, Knöpfen und Garn, in einem Lattenrost sind Schrauben, Kleber und Farbe verarbeitet, in einer Matratze unterschiedliche synthetische, metallische und organische Materialien. All diese Komponenten weisen ihrerseits eine eigene Lieferkette vor. Außerdem durchlaufen die Produkte Zwischenschritte – Färben, Drucken, Nähen etc. –, welche alle an unterschiedlichen Orten stattfinden und damit auch weitere Stationen der Wertschöpfungskette darstellen. Produkte, in welche eine Vielzahl an Komponenten verarbeitet wurden und welche eine Vielzahl an Verarbeitungsschritten durchliefen, sind teilweise mit nur einer Herkunftsregion gekennzeichnet, dahinter verbergen sich jedoch oft globale Lieferketten. Eva und das „Betten Raab“-Team versuchen zwar auch die Lieferketten dieser Einzelteile so gut es geht nachzuvollziehen. Dies ist nicht immer möglich.

Über das Vertrauens-Verhältnis zu Lieferanten….

Da es für Einzelhändler:innen nicht immer eigenständig möglich ist, alle Schritte der Wertschöpfungskette nachzuvollziehen, ist die Wahl von und Zusammenarbeit mit Lieferanten umso entscheidender. Eva berichtet mir, dass sie ihre Lieferanten ganz bewusst nach folgenden Kriterien auswählt: (Möglichst) kurze Wege, Wissen und Transparenz der Arbeitsbedingungen und Orte der Produktion, Innovationswert und Sinnhaftigkeit des Produktes. Außerdem, so Eva, kenne sie die allermeisten ihrer Lieferanten schon sehr, sehr lange und habe ein sehr gutes Vertrauensverhältnis zu ihnen. Daher kenne sie meistens die gesamte Wertschöpfungskette ihrer Produkte – inklusive Einzelteile – zumindest indirekt.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Viele Siegel und Standards, teils konkurrierende Themen.

Neben Zwischenhändlern, denen man vertraut, gibt es in jeder Branche Siegel und Zertifizierungen, die Einzelhändler:innen mit bestimmten Prüf- und Kontrollkriterien versprechen, einen bestimmten Standards einzuhalten. Auch Siegel und Standards spielen bei den Produkten bei „Betten Raab“ eine Rolle. Als ich mehr darüber erfahren möchte, erzählt mir Eva:

„Das Problem ist die Vielzahl an Siegeln und Standards!“

Grundsätzlich stellen für Eva Siegel nichts Schlechtes dar, trotzdem müsse man kritisch hinterfragen, wie, unter welchen Bedingungen und nach welchen Kriterien solche Siegel vergeben werden. „Faire Löhne“ beispielsweise bedeuten in der westlichen Welt etwas ganz anderes als in Asien. Da verzichte Eva sogar manchmal auf Produkte mit Siegel. Wenn sie die Umstände eines Produktes ohne Siegel aus der Region kennt, schaffe dies für sie oft mehr Vertrauen, als ein Siegel, welches im weiten Ausland zu Stande gekommen ist.

Was die Siegel inhaltlich tatsächlich darstellen, sei für Eva auch nicht immer unterstützungswürdig. Eva berichtet mir von einer Synthetikfaser-Decke, welche ein veganes Siegel trägt. „Dass die Decke vegan ist, ist schön, aber es ist trotzdem eine Umweltsünde.“ Die Herstellung dieser Decke basiere auf kostbarem Erdöl und ökologisch abgebaut werden könne sie auch nicht.

Es gibt dennoch einige Siegel, denen Eva vertraue und die für Kaufentscheidungen von „Betten Raab“ sehr wichtig sind.

Authentizität, kritisches Hinterfragen und Vertrauen.

Für Eva als Einzelhändlerin ist es grundsätzlich einfach wichtig, hinter ihren Produkten und Entscheidungen stehen zu können. Dazu gehöre es, erklärt sie mir, sich zu informieren, zu hinterfragen und zu entscheiden. Diese Entscheidungen müssten aber auch revidieren werden können, wenn sie nicht mehr gültig oder nicht mehr für richtig empfunden werden.

Transparenz ist gut – energischere Veränderungen sind besser

Als ich Eva fragte, was es benötigt, um besser mit den Herausforderungen hinsichtlich ökologischer und sozialer Standards umzugehen, bekomme ich eine energische Antwort: „Wenn man etwas ändert, dann müssen die Veränderungen energischer sein.“

Warum – trotz transparenter Bezeichnungen im Supermarkt – gibt es denn überhaupt noch die Eier aus Bodenhaltung zu kaufen?, fragt Eva. Jeder wisse doch um die schlechten Bedingungen der Hühner. Genauso sei es auch mit den sozialen und ökologischen Bedingungen in globalen Lieferketten. Es gibt schlechte Arbeitsbedingungen, unfaire Löhne und riesen Mengen an CO2-Ausstoß.

„Es ist ja schön, über Sachverhalte transparent informiert zu werden – aber wo sind die Lösungen, wie kann man es verhindern, was sind die Strategien?“ Eva Bovet

In der Zwischenzeit bleibt Eva optimistisch und freut sich, mit ihrem Engagement einen Teil für die Gesellschaft und Umwelt zu leisten. Schlaft alle gut!

Vielen Dank an die liebe Eva für das tolle und ehrliche Interview. Wer mehr von Eva und den Wegen ihrer Produkte lesen möchte, wird hier fündig.

Was wir gelernt haben, hier nochmal zusammengefasst:

Was haben wir gelernt:

  • Auch in Produkten, die augenscheinlich eher kürzere Wege haben, verbergen sich oft globale Lieferketten. Viele Komponenten, viele Arbeitsschritte, viele Stationen in der Wertschöpfungskette.
  • Vertrauen in Lieferanten ist wichtig.
  • Kritisches Hinterfragen von Siegeln und Standards ist hilfreich.
  • Eine Devise: Erst kritisch hinterfragen, dann mit Authentizität hinter Entscheidungen stehen – aber auch mal Entscheidungen und Meinungen ändern, wenn angebracht.
Eva Howell
Author: Eva Howell

Als Soziologin mit einer Affinität für philosophische Fragestellungen sinniert sie gerne über die Rolle des Individuums im Universum, über Technik und Emotionen und über Natur und Kultur. Als berufstätige, zeitweilig alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und nach vielen Umzügen in In- und Ausland weiß sie aber auch, dass die großen Fragen jeden Tag aufs Neue im Kleinen und in sehr spezifischen Lebensumständen ausgehandelt werden. Um einen Beitrag dazu zu leisten, die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele alltagstauglich zu machen und den Alltag zukunftsfähig zu machen, bearbeitet sie in Projekten gerne alltägliche und zugleich komplexe Themen, wie beispielsweise Ernährung. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden gewappnet sowie einer guten Dosis Kreativität und ihrer so sympathischen Bedachtheit versteht sie es, mit Schulungsteilnehmer:innen und Projektpartner:innen aus unterschiedlichen individuell-emotionalen, sozio-kulturellen, gesellschaftlich-politischen, rational-wirtschaftlichen oder pragmatisch-praktischen Perspektiven gemeinsame Ansätze und Ideen zu generieren.

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Als Soziologin mit einer Affinität für philosophische Fragestellungen sinniert sie gerne über die Rolle des Individuums im Universum, über Technik und Emotionen und über Natur und Kultur. Als berufstätige, zeitweilig alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und nach vielen Umzügen in In- und Ausland weiß sie aber auch, dass die großen Fragen jeden Tag aufs Neue im Kleinen und in sehr spezifischen Lebensumständen ausgehandelt werden. Um einen Beitrag dazu zu leisten, die globalen, nachhaltigen Entwicklungsziele alltagstauglich zu machen und den Alltag zukunftsfähig zu machen, bearbeitet sie in Projekten gerne alltägliche und zugleich komplexe Themen, wie beispielsweise Ernährung. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden gewappnet sowie einer guten Dosis Kreativität und ihrer so sympathischen Bedachtheit versteht sie es, mit Schulungsteilnehmer:innen und Projektpartner:innen aus unterschiedlichen individuell-emotionalen, sozio-kulturellen, gesellschaftlich-politischen, rational-wirtschaftlichen oder pragmatisch-praktischen Perspektiven gemeinsame Ansätze und Ideen zu generieren.